Zum Hauptinhalt springen

Europas gebundene Hände

Von Klaus Huhold

Politik

Der Staat zerfällt, islamistische Terroristen erstarken. Die Lage in Libyen alarmiert vor dem Außenministertreffen zusehends die Europäische Union. Doch ihr Handlungsspielraum ist beschränkt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien/Tripolis. Dass Bomben hochgehen und Gebäude brennen, gehört für die Bürger von Libyens Hauptstadt Tripolis zum Alltag. Nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi ist Libyen nicht mehr zur Ruhe kommen, der Staat zerfällt und versinkt im Bürgerkrieg. Das Bündnis der Milizen, die im Kampf gegen Gaddafi noch vereint waren, liegt in Trümmern, nun bekämpfen sich verschiedenste Gruppen. Doch mit den jüngsten Explosionen in Tripolis macht einmal mehr ein neuer Akteur in Libyen auf sich aufmerksam: der Islamische Staat (IS). Er übernahm nun etwa die Verantwortung für den Anschlag auf eine Polizeistation.

Die Terrormiliz hat in den vergangenen Wochen in Libyen Fuß gefasst: Das zeigt etwa die Entführung des Österreichers Dalibor S., der gemeinsam mit anderen Ausländern nach einem Überfall des IS auf ein Ölfeld verschleppt wurde - eine Machtdemonstration der Gotteskrieger. Städte wie Sirte oder Derna werden schon vom IS kontrolliert. Dieser erhält in Libyen Zulauf von Kämpfern, die aus dem Irak und Syrien in ihre libysche Heimat zurückgekehrt sind, eine zweite Gruppe bilden lokale Extremisten, die sich dem IS angeschlossen haben. Noch kontrolliert IS in Libyen kein zusammenhängendes Gebiet, doch die Sorge - auch unter europäischen Politikern - wächst, dass sich IS in Libyen immer mehr ausbreitet.

"Diese Gefahr ist tatsächlich sehr groß", sagt der "Wiener Zeitung" der Politologe Rachid Ouaissa von der Universität Marburg, der schon lange zu dieser Region forscht. "Der Islamische Staat nützt staatsfreie Räume und fragile Staatlichkeiten. Und das ist in Libyen der Fall."

In dem nordafrikanischen Land, in dem mittlerweile die Erdölproduktion großteils zusammengebrochen ist, gibt es zwei Regierungen. Eine befindet sich in Tripolis und umfasst etwa Islamisten wie die Muslimbrüder oder konservative Geschäftsleute. Die zweite Regierung - die vom Westen anerkannt wird - hat ihren Sitz in Tobruk, nachdem ihre Vertreter aus Tripolis vertrieben wurden. Diese Regierung wird etwa von regionalen Allianzen getragen, aber auch von früheren Gaddafi-Gefolgsleuten unterstützt. Dazwischen stehen Milizen, die mit einem der beiden Parlamente verbündet sind oder ihre eigene Agenda verfolgen. Dieses Chaos ist der Boden, auf dem IS wachsen kann.

Wenige Optionen

Die Situation in Libyen alarmiert zusehends die EU - die bedrohliche Lage in dem Land 300 Kilometer vor der Küste Europas wird eines der Hauptthemen beim Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel sein. Vom Außenministerrat könnte der Auftrag erteilt werden, dass der Europäische Auswärtige Dienst Optionen für einen EU-Einsatz in Libyen unter der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gibt, heißt es in Ratskreisen. Im Raum steht etwa eine größere Marine-Präsenz im Mittelmeer stehen, um etwa Waffenschmuggel nach Libyen zu unterbinden.

Generell kann die internationale Gemeinschaft aber wohl derzeit militärisch wenig ausrichten, um den Konflikt in Libyen zu beenden. Ägypten hat zwar, nachdem der Islamische Staat 21 koptische Christen geköpft hatte, eine internationale Militäraktion gefordert. Doch das wäre laut Beobachtern ein Himmelfahrtskommando. Denn mit wem und gegen wen sollten ausländische Einheiten in dem zersplitterten Land mit seinen unzähligen Milizen überhaupt kämpfen? Zudem ginge es wohl nicht ohne Bodentruppen - doch wahrscheinlich wäre kaum ein Staat bereit, diese zu senden. Und einem UN-Mandat, das die westliche Allianz beim Sturz Gaddafis in der Tasche hatte, würde Russland jetzt nicht zustimmen.

Der ägyptische Vorschlag stieß im Westen vorerst auch nicht auf viel Resonanz. Zumal Ägypten - aber auch etwa Saudi-Arabien - Partei im libyschen Konflikt ist. Kairo und Riad lehnen das Parlament in Tripolis massiv ab - weil die Muslimbrüder (die ja in Ägypten erst kürzlich vom Militär gestürzt wurden) für sie ein rotes Tuch sind. Das Parlament in Tripolis soll aber laut Diplomaten von Katar und der Türkei unterstützt werden. Libyen ist somit offenbar auch Spielball eines regionalen Machtkampfes. Die EU sollte sich hier nicht hineinziehen lassen, sagt der Politologe Ouaissa. Sondern massiv die Friedensgespräche unterstützen, die derzeit von der UNO, aber auch von Algerien geführt werden.

"Erster Hoffnungsschimmer"

So trafen diese Woche in Algier libysche Politiker aus den verschiedensten Fraktionen mit dem UN-Sonderbeauftragten Bernardino Leon zusammen. Auch wenn einige Politiker aus Tobruk und Tripolis gegen die Initiative wetterten - die versammelten Delegierten bekannten sich zur nationalen Einheit und zur Bekämpfung des Extremismus. "Das ist ein erster Hoffnungsschimmer und sollte von Europa unterstützt werden sollte", sagt Ouaissa. Sehr viel mehr kann die EU wohl im Moment auch nicht unternehmen.

Eines ist laut dem Politologen klar: Nur wenn die beiden Lager in Tripolis und Tobruk wieder zusammenfinden, kann die territoriale Einheit Libyens gewahrt bleiben und nur so können Extremisten wie der islamische Staat besiegt werden.