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Europas Gemüsegarten trocknet aus

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Wirtschaft
Das Plastikmeer zwischen El Ejido und Nijar ist so groß wie 50.000 Fußballplätze.
© Manuel Meyer

Schon jetzt beginnt in Spanien die erste extreme Hitzewelle. Das Land steuert einer Dürrekatastrophe entgegen, die auch in Österreichs Supermärkten zu spüren sein wird.


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Allmählich macht sich Francisco Miguel García wirklich ernsthafte Sorgen. "Hier in der Provinz Almería hat es nie viel geregnet. Aber so wenig wie in den vergangenen zwei Jahren ist selbst für unsere Region ungewöhnlich", sagt der Gemüsebauer aus dem südspanischen El Ejido.

Tatsächlich regnet es in der Mittelmeerregion im äußersten Südosten des Landes durchschnittlich nur 200 Millimeter pro Quadratmeter im Jahr (zum Vergleich: In Wien sind es 660 Millimeter). Doch heuer gab es noch gar keine nennenswerten Niederschläge. Laut dem spanischen Wetterdienst regnet es in einigen Regionen seit fast 170 Tagen überhaupt nicht mehr - und das nach zwei Dürresommern und einem extrem trockenen Herbst und Winter. Es ist die längste Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor mehr als hundert Jahren.

"Staubtrocken ist die Erde, und das bereits im April", sagt Francisco, während er über eine App auf seinem Handy die Bodenfeuchtigkeit in einem seiner Gewächshäuser kontrolliert. Der 36-jährige Gemüsebauer pflanzt vor allem Paprika. Wie viele Bauern in der Region bewässert auch Francisco mit einem modernen unterirdischen Tropfenbewässerungssysteme, das bis zu 70 Prozent Wasser einspart. "Wir leben hier in einer trockensten Gegenden Spaniens mit lehmigen Böden. Wir müssen sparsam mit dem Wasser umgehen."

Doch selbst modernste und nachhaltigste Hightech-Gewächshäuser wie das seine geraten derzeit an ihre Grenzen im Kampf gegen den Klimawandel. Draußen vor dem Gewächshaus sind es mittlerweile 32 Grad. Spanien geht das Wasser aus - jetzt schon. Die fünf größten Flüsse kommen nicht über 25 Prozent ihres Normalpegels.

Wasserverlust von 90 Prozent beim Sau-Stausee

Die Stauseen des Landes sind im Durchschnitt nur bis zu 30 Prozent gefüllt. Im vergangenen Dürrejahr war es zu dieser Jahreszeit immerhin noch doppelt so viel. Manche Stauseen sind mit 10 Prozent bereits hydrologisch tot. In Katalonien, im Nordosten des Landes, befand sich die Kirche von Sant Romà de Sau seit 1962 auf dem Grund des Sau-Stausees. Heute kann man die Ruine der Kirche bei einem Wasserverlust von 90 Prozent wieder besuchen.

In Katalonien wurde bereits in 224 Gemeinden das Wasser rationiert. Pools dürfen nicht mehr gefüllt werden, Rasen nicht mehr gewässert. Wie die Wassereinschränkungen die touristische Sommersaison an der Costa Brava oder auf Mallorca betreffen werden, bleibt abzuwarten. Doch die Auswirkungen auf die Landwirtschaft sind bereits mehr als spürbar. In Katalonien müssen Landwirte mit 40 Prozent weniger Wasser auskommen. Einschränkungen, die an der Existenz vieler Betriebe rütteln.

Nicht besser sieht die Lage im Süden in der Extremadura und vor allem in Andalusien aus. "Wenn es nicht bald regnet und die Wasserspeicher aufgefüllt werden, sieht es düster aus mit den nächsten Ernten", versichert der andalusische Gemüsebauer Francisco. Doch nach Regen und einem Ende der Dürre sieht es nicht aus. Im Gegenteil: Die Auswirkungen der Trockenheit dürften sich in der kommenden Woche nochmals verschlimmern.

Am Donnerstag hat in Spanien die erste als "extrem" geltende Hitzewelle des Jahres mit Temperaturen von bis zu 38 Grad begonnen - viel zu früh. Laut Wetterdienst liegen die Temperaturen in einigen Landesteilen bis zu 20 Grad über dem normalen Monatsdurchschnitt. So hob der spanische Wetterdienst Aemet diese Woche für weite Teile des Landes auch die Waldbrandgefahr auf die höchste Stufe "extrem" an. Schon im März brannten etwa 4.600 Hektar alleine in der Provinz Castellón nördlich von Valencia nieder.

Durch die Winterdürre gingen die Exporte von spanischem Gemüse und Früchten in den ersten zwei Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr bereits um 13,5 Prozent zurück. Die Zitrusfruchtbauern in der Provinz Málaga sprechen von Ernteausfällen bei Zitronen und Orangen von mehr als 40 Prozent. Avocado- und Mangobauern in Granada fällen schon Bäume, um andere zu retten, weil nicht mehr alle bewässert werden können.

25 Prozent der andalusischen Wirtschaftsleistung in Gefahr

Selbst Andalusiens eigentlich resistente Olivenbäume verschrumpeln derzeit und tragen deutlich weniger und kleinere Früchte, was den Preis für Oliven und Olivenöl aufgrund niedriger Produktionsmengen in die Höhe treiben wird. Der Sektor leide unter der schlimmsten Dürre seit Jahren, berichtet der andalusische Bauernverband Asaja. Laut einem Bericht der Landesregierung in Sevilla bedroht der Wassermangel 25 Prozent der andalusischen Wirtschaftsleistung.

Die wahrscheinlichen Ernteausfälle in der südspanischen Region werden aber nicht nur fatale Folgen für die lokalen Gemüsebauern haben, sondern auch enorme Auswirkungen auf die Gemüse- und Obstpreise in Österreich und im restlichen Zentraleuropa. Vor allem hohe Ernteausfälle in Almería könnten zu halbleeren Supermarktregalen und höheren Preisen führen, denn Almería ist Europas Gemüsegarten schlechthin. Vor allem im Winter machen die Waren aus Almería fast 40 Prozent der Obst- und Gemüseprodukte in europäischen Märkten aus.

Dank gigantischer Gewächshausanlagen versorgen die knapp 11.000 Gemüsebauern in der mit 320 Sonnentagen verwöhnten Mittelmeerregion Europa das ganze Jahr über mit Gurken, Tomaten, Paprika, Wassermelonen, Zucchini und Auberginen. Das "Plastikmeer" bei El Ejido ist mit 330 Quadratkilometern fast so groß wie Wien: 24.000 Gewächshäuser auf einer Fläche, die fast 50.000 Fußballfelder entspricht. "Hier werden rund 80 Prozent aller spanischen Gemüse- und Obstexporte produziert, knapp 2,6 Millionen Tonnen im Jahr", erklärt Jan van der Blom vom Verbund regionaler Obst- und Gemüseerzeuger Coexphal.

60.000 Menschen arbeiten in der Gemüseproduktion, dem wichtigsten Wirtschaftsmotor der Region. Der zunehmende Wassermangel führte aber heuer schon zu heftigen Einbrüchen in der Produktion. In den ersten zwei Monaten des Jahres wurden im Vergleich zum Vorjahr 22 Prozent weniger Tomaten gepflückt, 21 Prozent weniger Gurken und 25 Prozent weniger Auberginen.

Weitere Dürren dürften soziale Not noch verschlimmern

Weitere und leider absehbare Dürren dürften die soziale Not in der Gemüseregion, die zu Europas Armenhäusern gehört, noch verschlimmern. Teil des Problems ist neben der Erderwärmung und immer weniger Niederschlägen aber auch der intensive Anbau selber, bei dem bis zu dreimal im Jahr geerntet und den Böden und Wasserspeichern keine Ruhepause gegönnt wird, erklärt Abel La Calle Marcos, Professor und Wasserexperte an der Universität von Almería.

Neben der Erderwärmung macht er somit auch die landwirtschaftlichen Monokulturen mit einer Überausbeutung von 200 Prozent der natürlichen Wasservorräte für die Wüstenbildung von Europas Gemüsegarten verantwortlich. "Almerías Gemüsebauern gehen sehr sparsam mit dem Wasser um. Das Problem ist einfach die große Anzahl von Gewächshäusern. Aber Europa will Gemüse und Obst essen", so La Calle Marcos.

Mit schlimmen Folgen für die südspanische Region: An kaum einen Ort ist die fortschreitende Desertifikation stärker zu sehen als hier - ausgerechnet in Europas Gemüsegarten. Nur wenige Kilometer von den Gewächshäusern entfernt breitet sich unaufhaltsam das Desierto de Tabernas aus, Europas einzige Halbwüste.

In den vergangenen Jahren wurde dem Boden einfach zu viel Grundwasser entnommen. Gleichzeitig regnete es zu wenig. Durch den Rückgang des Grundwasserpegels dringt nach und nach salziges Meerwasser ins küstennahe Grundwasser ein, das für die Gewächshäuser benutzt wird, die sich zwischen Níjar und El Ejido bis an die Strände hinunterziehen. Zu salziges Grundwasser ist neben der allgemeinen Wasserknappheit also die größte Gefahr für Europas Gemüsegarten.

Ein Ausweg: Wasser aus teuren Entsalzungsanlagen

"Unser Ziel ist es deshalb, dass bis 2027 mindestens 60 Prozent unseres Wassers aus Entsalzungsanlagen kommt, damit sich das Grundwasser wieder erholen kann, was außerdem dazu führt, dass sich das Meerwasser wieder zurückzieht", meint Manuel García Quero vom Wasserkontrollrat der Bauerngemeinschaft JCUAPA. Man tue wirklich alles, um den Wasserkonsum zu optimieren, versichert García Quero. "Das Einsparen von Wasser ist in einer Region wie dieser eine Frage der Zukunftssicherung der Ressourcen".

Das Problem mit den Entsalzungsanlagen: Die Aufarbeitung vom Meerwasser ist immer noch mit relativ hohen Energiekosten verbunden. In der Tabernas-Halbwüste forscht Guillermo Zaragoza auf dem Gelände der Plataforma Solar de Almería nach umweltfreundlichen Entsalzungsanlagen, die Meerwasser mit Sonnenergie erhitzen. Dabei durchdringt der erzeugte Meerwasserdampf eine Membran, die Salz und schädliche Spurenelemente zurückhält.

Unterdessen forschen Wissenschafter wie José Luis Casas López an der Universität Almería an photokatalytischen Verfahren, mit denen Abwässer gereinigt und für die Gemüsebewässerung aufbereitet werden. Die spanische Zentralregierung pumpt mehr als 300 Millionen Euro in den Ausbau und die Modernisierung von Entsalzungsanlangen.

Viele Landwirteverbände bauen aber bereits auch ihre eigenen Anlagen. Die Zeit läuft ihnen weg und der Kampf ums Wasser ist längst entbrannt. Und der beschränkt sich nicht mehr nur auf die Überland-Wasserkanäle, die das Flusswasser übers ganze Land gleichmäßig und gerecht verteilen sollen und selbst unter Regionen zu politischen Streit führen, die von derselben Partei regiert werden.

Bewässerung bedroht wichtiges Naturschutzgebiet

Jüngstes Beispiel: Andalusiens Nationalpark Coto de Doñana. Spaniens Umweltschützer und Wissenschaftler schlagen derzeit Alarm. Die sozialistische Zentralregierung tobt, die EU droht sogar mit Sanktionen. Dennoch hält die konservative Regionalregierung in Sevilla an ihrem Plan fest, die Bewässerung von Gemüseplantagen rund um den Nationalpark Doñana auszuweiten. Das mehr als 122.000 Hektar große Feuchtgebiet an der südspanischen Atlantikküste gehört zu den wichtigsten Naturschutzgebieten Europas. Die Lagunen dienen zudem Millionen von Zugvögel auf ihrem Weg zwischen Europa und Afrika als Rastplatz.

Das Gebiet rund um den Nationalpark ist aber auch der Wirtschaftsmotor der Region Huelva, die zu den strukturschwächsten in Spanien gehört. Hier werden die Erdbeeren für Europas Supermärkte angebaut. Fast 97 Prozent sämtlicher spanischer Rotbeeren kommen aus der Region.

Schon seit Jahren bedroht der wasserintensive Erdbeeranbau das Feuchtgebiet. 2014 verbot die damalige sozialistische Regionalregierung einen Ausbau der Anbauflächen. Durchgesetzt wurde das Verbot aber nicht. Laut der Umweltschutzorganisation WWF wurden in den vergangenen Jahren sogar noch bis zu tausend neue illegale Tiefbrunnen für die Bewässerung Erdbeerenfelder angelegt - mit katastrophalen Folgen für das Feuchtgebiet, das aufgrund des Klimawandels ohnehin schon seit Jahren vom Austrocknen bedroht ist.

"Das Ökosystem Doñana befindet sich in einem kritischen Zustand", sagt Eloy Revilla, Direktor der biologischen Beobachtungsstation im Nationalpark. Bereits über die Hälfte sämtlicher Lagunen sei vertrocknet. Die Pläne der Regionalregierung bedrohen das Feuchtgebiet nun existenziell. Ein Plan, der vor allem mit Blick auf die starke andalusische Bauernlobby und die Gemeindewahlen Ende Mai vorangetrieben wird.

Unterdessen hat die spanische Regierung in Brüssel EU-Notfallhilfen für die von der Dürre betroffene Landwirtschaft beantragt. Zudem gab Spaniens Agrarminister Luis Planas diese Woche Steuerkürzungen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro für betroffene Bauern bekannt. Laut Angaben des Landwirtschaftsministeriums wurden für 27 Prozent des spanischen Territoriums derzeit ein "Dürrenotstand" oder eine "Dürrewarnung" ausgerufen - und das im April. Leider kein Aprilscherz. Genauso wenig wie die 39 Grad, die derzeit in vielen Städten Andalusiens gemessen werden.

Dürre und Hitze in Europa

Nieselregen, frische Temperaturen: Während in Österreich noch typisches Aprilwetter herrscht, ächzt vor allem Südeuropa bereits unter extremer Dürre und der ersten großen Hitzewelle des Jahres.

In Spanien mag die Lage gerade besonders schlimm sein. Doch auch das Nachbarland Portugal leidet derzeit unter dem Einfluss eines hartnäckigen Hochdruckgebiets, das zudem heiße Sahara-Luftmassen aus Nordafrika mit sich führt.

Laut dem portugiesischen Wetteramt IPMA werden im Süden des Landes die Temperaturen bis auf 37 Grad ansteigen. Im Norden und im Zentrum wird es mit bis zu 33 Grad nicht viel kühler. Die eigentlichen Hochsommertemperaturen, kombiniert mit einer harten Winterdürre, haben die Regierung in Lissabon bereits veranlasst, die Waldbrandgefahr als "sehr hoch" einzustufen.

In Italien sieht die Lage nicht viel besser aus. Vor allem der Norden des Landes leidet unter extremer Dürre. Der Po, Italiens größter Fluss, gleicht stellenweise nur noch einem Rinnsal. Am anschaulichsten ist der Dürre-Notstand jedoch am Gardasee, wo Touristen mittlerweile zu Fuß auf die sogenannte Kanincheninsel Isola di San Biagio wandern können, deren Besuch sonst nur im Boot möglich ist. Nicht weniger beeindruckend sind die Bilder der Gondeln in Venedig, die im Schlamm der ausgetrockneten Kanäle liegen.

Von der Dürre betroffen ist auch Frankreich. Dort regnet es laut Experten bereits seit zwei Jahren viel zu wenig. Seit Monaten schon herrscht südlich der Alpen und vor allem im südlichen Westeuropa eine schwere Trockenheit.

Im östlichen Mittelmeer sind Griechenland und die Türkei allerdings noch relativ von Hitzewellen verschont geblieben. Die Stauseen rund um Athen sind ebenfalls gut gefüllt. Auch wenn es auf einigen Inseln vor allem in der südlichen Ägäis dringend mal wieder regnen müsste.

Unterdessen schaut Frankreich gespannt auf das Hochdruckgebiet über der Iberischen Halbinsel, das sich langsam aber sicher auf Mitteleuropa zubewegt. Die heiße Wüstenluft aus Marokko dürfte sich in der kommenden Woche bis nach Südfrankreich, Sardinien und Sizilien ausbreiten.

Ob diese auch Österreich, die Schweiz und Deutschland erreicht, bleibt abzuwarten. Doch mag das verregnete Aprilwetter in Österreich täuschen. Auch hier gibt es viel zu wenige relevante Niederschläge, wie zum Beispiel der ausgetrocknete Zicksee in Ostösterreich zeigt. Auch in Westösterreich hat es im vergangenen Winter ein Drittel weniger geregnet als im Vorjahr. Und selbst auf das übliche Schmelzwasser aus den Alpen kann heuer in vielen Gebieten Österreichs nicht gezählt werden, da im Winter viel zu wenig Schnee gefallen ist.