Investitionsschub vor der Fußball-EM. | Bauwirtschaft als Konjunktur-Zugpferd. | Warschau/Wien. (hdt) Wiecha, übersetzt Dachgleiche oder Richtfest, hat auch in Polen Tradition: Der Bauherr schlägt den letzten Nagel in den Dachsparren. Das Haus wird an der höchsten Stelle des Daches mit einem Tannenbaum geschmückt. Und während im Rest Europas viele Baustellen krisenbedingt ruhen, wird in Polen derzeit sehr oft Wiecha gefeiert: Die Bauwirtschaft ist die Konjunkturlokomotive im einzigen EU-Land, das heuer ein BIP-Wachstum verzeichnen kann.
Derzeit größtes Immobilienentwicklungsprojekt Polens ist der Poleczki Business Park an der im Bau befindlichen Warschauer Südumfahrung, nur wenige Minuten vom internationalen Flughafen entfernt. Das Projekt hat Mitte Oktober knapp ein Jahr nach der Grundsteinlegung wie geplant die Dachgleiche des 45.000 m² umfassenden, rund 100 Millionen Euro teuren ersten Bauabschnittes gefeiert. Das gesamte Bauvorhaben ist mit rund 250 Millionen Euro kalkuliert. Bis 2015 soll auf dem 14 Hektar großen Grundstück ein 15 Bauten umfassendes modernes Büroviertel mit insgesamt 200.000 m² Nutzfläche entstehen. Bauherren und Eigentümer sind Österreicher: CA Immo International und UBM Realitätenentwicklung, als Generalunternehmer wurde Porr Polska engagiert.
"Es war richtig, dass wir uns nicht durch die Krisenstimmung zur Reduktion oder zum Aufschub des Projekts haben verleiten lassen", sagt CA-Immo-Chef Bruno Ettenauer.
Aktuell ist Polen wegen seiner robusten Binnenkonjunktur und dem großen Nachholbedarf einer der interessantesten Immobilienmärkte Europas, meint UBM-Chef Karl Bier, der auch mit mehreren Hotel- und Wohnbauprojekten im Land engagiert ist.
Während im Rest der EU - und vor allem im Osten - Rezession herrscht, wird Polen auch im dritten und vierten Quartal 2009 mit einem Wirtschaftswachstum rechnen dürfen, nachdem es schon im ersten Halbjahr das einzige EU-Land mit Wachstum war. Das BIP stieg nach Zuwächsen von 6,7 Prozent (2007) und 4,8 Prozent (2008) in den ersten sechs Monaten um 1,1 Prozent. Die Bauwirtschaft, die um 2,5 Prozent wuchs, trug am meisten zum positiven Ergebnis bei.
Für das Gesamtjahr prognostiziert die EBRD Polen ein Plus von 1,3 Prozent, für 2010 ein Wachstum um bis zu 3 Prozent. 2005 betrug das polnische BIP pro Kopf zu Kaufkraftparitäten erst 50 Prozent des EU-Schnitts, bis 2015 sollte es wie geplant 75 Prozent erreichen.
Großaufträge für Firmen aus Österreich
Während die Industrieproduktion um mehr als 3 Prozent nachgab - vor allem die Autoindustrie mit Werken von Opel, VW, Fiat und Ford schrumpfte -, erweist sich die 2012 anstehende Fußball-Europameisterschaft als Motor: Premierminister Donald Tusk rief Polen gar zur "größten Baustelle Europas" aus, für die Erneuerung der Straßen- und Schieneninfrastruktur sind rund 16 Milliarden Euro veranschlagt.
Und österreichische Baufirmen sind vorne mit dabei: Die Strabag hat kürzlich einen weiteren Autobahnauftrag um 1,6 Milliarden Euro ergattert - Polen ist für den Baukonzern mittlerweile nach Deutschland der zweitwichtigste Markt.
Und den Löwenanteil der 700 Millionen Euro für Bau und Modernisierung von sechs Fußballstadien hat mit 630 Millionen Euro Auftragssumme die österreichische Alpine Bau ergattert. Der polnische Vizepremier und Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak, der gestern Wien besuchte, geht daher davon aus, dass das Handelsvolumen zwischen Polen und Österreich in den kommenden Jahren wieder steigen werde - es hatte sich in den vergangenen Jahren bereits auf fünf Milliarden Euro verdoppelt, dürfte heuer aber um 15 Prozent schrumpfen.