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Europas größte Errungenschaft

Von Viviane Reding und Cecilia Malmström

Gastkommentare

Das Recht auf Freizügigkeit bringt Europa näher und vereint es. | Wir sollten dieses Recht genießen und schätzen.


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Wenn Sie von Brüssel nach Amsterdam fahren, sehen Sie vielleicht flüchtig eine kleine Tafel mit zwölf Sternen, die Ihnen zeigt, dass Sie jetzt gleich in den Niederlanden sind. Heute gehören Grenzen in der EU der Geschichte an und sind nur noch Linien auf der Landkarte. Für Millionen Reisende ist ein europäischer Traum Wirklichkeit geworden. Wir werden dafür sorgen, dass dieser Traum weiterlebt.

Zusammen mit dem Euro ist das Recht auf Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten die konkreteste und meistgeschätzte Errungenschaft der europäischen Integration in den vergangenen 60 Jahren. Unsere Geschichte ist getränkt mit dem Blut von Menschen, die in Kämpfen um oft nur ein kleines Stück Land ums Leben gekommen sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennten uns hässliche Barrieren aus Stacheldraht oder Beton und bewaffnete Soldaten. Heute brauchen wir nicht einmal einen Pass, um auf unserem Kontinent herumzureisen.

Die Europäer nutzen ihr Recht auf Freizügigkeit jeden Tag: Als Touristen machen sie jedes Jahr etwa 1,25 Milliarden Reisen innerhalb der EU. Den Europäern ist dieser Vorteil der Unionsbürgerschaft sehr wohl bewusst. Eine im vorigen Jahr durchgeführte Umfrage ergab, dass neun von zehn Europäern wissen, dass sie dieses Recht haben.

Ein Europa ohne Grenzen bringt auch der Wirtschaft Nutzen. Zwischen 2004 und 2007 hat der positive Impuls für die berufliche Mobilität, der durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten ausgelöst wurde, das EU-Bruttoinlandsprodukt um gut 40 Milliarden Euro erhöht.

Diese Errungenschaften sind jedoch keine Selbstverständlichkeit. Die Schengen-Bestimmungen, nach denen wir in 25 europäischen Ländern ohne Pass reisen können, erlauben den Staaten - in besonderen Ausnahmesituationen - die Kontrollen an den Binnengrenzen für befristete Zeit wieder einzuführen. Dies könnte zum Beispiel während eines internationalen Fußballturniers der Fall sein, damit die Behörden Gewaltakte während der Spiele verhindern können.

Diese Ausnahmen sollten genau das bleiben, was sie sind: Ausnahmen. Die jüngsten Spannungen zwischen Frankreich und Italien haben gezeigt, dass die geltenden Vorschriften richtig interpretiert und - im Bedarfsfall - genau abgestimmt werden müssen. Die Regierungen sollten die Umstände, unter denen die Grenzkontrollen wieder eingeführt werden müssen, nicht allein bestimmen.

Eine solche Entscheidung würde sich auf uns alle auswirken. Sie sollte daher von den Europäischen Institutionen gebilligt werden. Hier geht es um die Einhaltung der EU-Vorschriften und den Schutz unserer schwer erkämpften Rechte. Die Europäische Kommission hat kürzlich vorgeschlagen, die Integrität der Schengen-Bestimmungen zu stärken und die größte Errungenschaft der EU zu schützen: die Freizügigkeit.

Es hat viele Jahre gedauert, nach den beiden Weltkriegen die Grenzen abzuschaffen und Vertrauen aufzubauen. Heute macht die Freizügigkeit Europa kleiner und vereint uns. Genießen und schätzen Sie dieses Recht!

Viviane Reding (l.) ist EU-Justizkommissarin; Cecilia Malmström (r.) ist EU-Kommissarin für innere Angelegenheiten. Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung der Autorinnen wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.