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Amerikanisch-Sein wird für Migranten schnell attraktiv. | Der Soziologe Kenan Güngör über Integration in den USA und in Europa. | "Wiener Zeitung":Die USA wurden von Einwanderern aufgebaut. Funktioniert die Integration dort leichter?
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Kenan Güngör: In Europa haben sich die geschichtlich gewachsenen Identitäten, Sprachen und Strukturen über einen sehr langen Zeitraum entwickelt und sind heute stark verwurzelt. Bei so gewachsenen Räumen ist die Eingliederung eines Anderen nicht so einfach. Wenn sich hingegen alle als Fremde sehen, die gemeinsam eine neue Heimat geschaffen haben, wie in den USA, ist das anders.
Klappt also Integration in den USA tatsächlich besser?
Eines vorweg: Unser Bild der USA ist von den letzten 50 Jahren geprägt. Dabei hatten die USA einen jahrhundertelangen, auch blutigen Entstehungsprozess. Die ersten Kolonien wurden noch als Weiterführung europäischer Länder im Ausland gesehen.
Davon abgesehen war die Zuwanderung in die USA eine andere als jetzt in Europa. Zuwanderer kamen primär aus Kontinentaleuropa, also aus einem ähnlichen Raum, waren vielfach Weiße und gehörten dem christlichen Glauben an. Dadurch entstanden viele gemeinsame Identitätsbezugspunkte. Bei der muslimischen Zuwanderung ist das nicht gegeben.
Aber Immigranten identifizieren sich in den USA schneller mit ihrem neuen Land als in Europa.
Zumindest auf der Ebene der Identität funktioniert die Integration auch besser. In der Tat fühlen sich dort Zuwanderer in einem kürzerem Zeitraum als Amerikaner. Aber das ist die eine Seite. Andererseits funktioniert die strukturelle Integration schlechter. Auch Ghetto-Bildungen sind viel stärker als bei uns.
Migranten-Communitys werden eben gefördert.
Weil wohlfahrtsstaatliche Stützsysteme dort nicht so ausgeprägt sind, übernehmen oft Communitys die Rolle der sozialen Unterstützung. Deshalb lässt man ihnen auch mehr Raum. Wenn die strukturelle Integration nicht klappt, ist der Staat nicht schuld. "Schau selber auf dich", sagt man zum Einzelnen. Anders ist es bei uns, wo ein stark ausgebauter Fürsorgestaat existiert. Hier wird Ungleichheit viel problematischer, weil man für die, die es nicht schaffen, über sozialstaatliche Transferleistungen aufkommen muss. In den Vereinigten Staaten kann es einem eher "egal" sein.
Mit Europa identifizieren sich viele Europäer nicht.
Die europäische Identität ist nur schwach ausgebildet. Historisch gesehen ist Europa als Konzept - anders als die USA - eigentlich erst über die Abgrenzung zur osmanisch-islamischen Realität entstanden.
Nationale Identitäten sind in Europa aber ausgeprägt, doch nicht alle Zuwanderer identifizieren mit ihnen.
Es gibt bemerkenswerte Unterschiede innerhalb Europas. Die Türken in den Niederlanden zum Beispiel fühlen sich diesem Land stärker zugehörig als die Türken in Österreich. Das gesellschaftliche Klima trägt viel dazu bei. Die Niederlande waren politisch und lebensweltlich liberal, die Ausgangslage damit emotional anders. Im deutschen Sprachraum findet weniger Identifikation auf emotionaler Ebene statt. Deutschsein ist selbst bei Deutschen "unsexy". Die Aussage eines Deutschen zu einem Deutschen "Du bist aber deutsch!" wird nicht unbedingt als Kompliment wahrgenommen.
Migranten in Österreich schätzen hier vieles. Untersuchungen zeigen, dass sie mit vielem sogar zufriedener sind als die Österreicher, gerade durch den Vergleich zu ihren Heimatländern. Man fühlt sich wohl hier, beheimatet fühlen sie sich aber nur wenig.
Geschieht die Bildung von Identitäten vor allem auf emotionaler Ebene?
Genau. Es schlägt sich in dem nieder, was ich anziehend finde. Amerikaner zu sein wird attraktiv gemacht und mit einem positiven und bejahenden Lebensgefühl verbunden. Es ist Teil der Popkultur und hat dadurch enorme identitätsgenerierende Breitenwirkung. Teils haben das rechtspopulistische Parteien erkannt, die über einen Polit-Popstil eine breitenwirksame Wir-Identität schaffen. Gerade der Patriotismus von Heinz-Christian Strache ist popkulturell imprägniert. Die FPÖ wird so auch für politisch nicht interessierte Leute attraktiv.
Ich würde mir eine aufgeklärte, inhaltliche wie emotionale Stärkung der europäischen Identität wünschen, als Gegenpol zum Nationalismus. Es ist kein Zufall, dass gerade Rechtspopulisten die EU zum Feind von außen erklären. Eine europäische Identität könnte ihre innere Vielfalt und Einheit stärker in den Vordergrund stellen.
Soziologe Kenan Güngör spricht regelmäßig mit der "Wiener Zeitung" über Facetten von Integration.