Wie tief ist die Kluft zwischen dem alten und dem neuen Kontinent? | Wien. "Ich bin besorgt über die wachsende Spaltung und Entfremdung zwischen Europa und den USA." Diese Sorge motivierte Kardinal Christoph Schönborn zu einem hochkarätigen Symposion mit dem Titel "A Growing Gap", das seit Donnerstagabend mehr als 60 amerikanische und europäische Denker, Professoren und Kirchenvertreter in Wien zusammenführt. Die USA würden von großen Teilen der europäischen Öffentlichkeit schon als größere Bedrohung denn der Terrorismus oder eine iranische Atombombe empfunden, berichteten Teilnehmer.
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Noch mehr als die Kluft zwischen Europa und den USA dominierte aber die wachsende Kluft zwischen Christentum und dem vorherrschenden europäischen Zeitgeist den Beginn des Symposions. Besonders im Zentrum stand bei vielen philosophischen Diskutanten die Kritik am "Relativismus, Hedonismus und Nihilismus", die derzeit in Europa dominieren.
So sei rund um die Versuche einer europäischen Verfassung lediglich das diffuse Bekenntnis zu einer "Diversität" als Kern einer europäischen Identität geblieben. Begriffe wie das Gute und Wahrheit spielten in Europa hingegen kaum noch eine Rolle in der kollektiven Selbstwahrnehmung.
Der prominente US-Wissenschafter George Weigel stellte dieser Entfremdung zwischen Zeitgeist und Christentum die Rolle der katholischen Kirche und des Papstes beim Ende des Kommunismus gegenüber: "Sie war die entscheidendste kulturelle Institution bei der neuen Welle der Demokratisierung, die in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten rund um den Globus gegangen ist." Weigel fragt, wie eine Gesellschaft die Demokratie verteidigen könne, wenn sie sich der moralischen und religiösen Bezugspunkte entledigt.
Islam als aggressiver Lückenfüller
Weigel verwies auf das Antreten einer "aggressiven anderen Kultur": Der islamischen. Und er schlug die Brücke zum dramatischen Geburtenrückgang in Europa: "Das Vakuum bleibt nicht ungefüllt, sondern es füllt sich mit Völkern, die Europa nach ihren eigenen Vorstellungen ändern wollen." Auch Schönborn war von den gleichen Fragen geprägt. Er zitierte den früheren iranischen Präsidenten Khatami, der es als gefährlich bezeichnet hatte, wenn Europa seine eigenen christlichen Wurzeln abschneidet. Schönborn stellte der "Diktatur des Relativismus harte Fakten gegenüber": den demografischen Kollaps Europas. "Europa hat im 20. Jahrhundert dreimal Nein zur eigenen Zukunft gesagt: Mit seinem Ja zur Geburtenregelung, mit seinem Ja zur Abtreibung, und mit seinem Ja zur Homosexuellenehe."
Sehr pointiert näherte sich auch der britische Publizist Daniel Johnson dem gleichen Problemkreis: "Wir haben in Europa nicht nur leere Kirchen, sondern auch leere Seelen."
Die Buchhandlungen seien voll mit esoterisch-spirituellen Texten oder dem Da-Vinci-Code, es fänden sich aber keine christlichen Inhalte.