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Europas Militär soll flügge werden

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

Brüssel - Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg wollen in Zukunft ihre Verteidigungspolitik enger abstimmen und dazu bis Sommer 2004 einen Planungs- und Führungsstab aufbauen. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte die Motivation der Vier mit folgenden, um Diplomatie bemühten Worten auf den Punkt: "Wir haben innerhalb der NATO nicht zu viel Amerika, wir haben zu wenig Europa, und genau das wollen wir ändern."


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Alle vier Gipfelteilnehmer, Schröder, der französische Staatspräsident Jacques Chirac, der Gastgeber und belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt und der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker unterstrichen die potentiell historische Bedeutung des Treffens: Es könnte der Kern einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik geschaffen worden sein.

Eigene Militäreinsätze

Was wurde am Dienstag konkret beschlossen: Zunächst soll der Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe forciert werden, dessen Kern die existierende deutsch-französische Brigade ist. Zudem wollen die Vier eine europäische gemeinsame ABC-Abwehrfähigkeit für den Schutz der Zivilbevölkerung aufbauen. Zugleich soll ein europäisches System humanitärer Soforthilfe im Katastrophenfall (EU-FAST) errichtet werden. Außerdem sollen europäische militärische Ausbildungszentren geschaffen werden.

Schließlich soll die EU auch Planung und Führung militärischer Einsätze eigenständig leisten. Dazu soll im Sommer 2004 im Brüsseler Vorort Tervuren eine Kerninstanz geschaffen werden, die der EU "anstelle nationaler Mittel für operative Planung und Führung EU-geführter Operationen ohne Rückgriff auf Mittel und Fähigkeiten der NATO" zur Verfügung stehen soll.

Alle vier Staats- und Regierungschefs versicherten, dass es sich bei ihrer Initiative (sie trägt den Namen "ESVU") nicht um die Schaffung einer Konkurrenz zur NATO handle. Im Gegenteil: Ein stärkerer europäischer Pfeiler innerhalb der Verteidigungsallianz stärke das Bündnis und die transatlantischen Beziehungen zur USA, meinte etwa Schröder. Chirac äußerte sich optimistisch, dass sich die anderen EU-Staaten einschließlich Großbritannien und Italien der Initiative anschließen würden. Schließlich war in diesem Zusammenhang immer wieder betont worden, dass das Bündnis allen EU-Mitglieder offen stehe.

Was die Missstimmung in Großbritannien, Spanien und Italien nicht mindern konnte. Premier Tony Blair meinte, das Modell einer einzigen, dominanten Supermacht - der USA - sei einer multipolaren Weltordnung vorzuziehen, Italien hat damit gedroht, eine Gegeninitiative zu starten, Spanien befürchtet jetzt sogar eine Spaltung der EU.

Ferrero-Waldner "skeptisch"

Österreich, das zu dem Gipfel ja nicht geladen war, begegnet der Initiative auch mit wenig Begeisterung: Vom ORF-Mittagsjournal befragt, meinte Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, sie sei "skeptisch". Man sollte nicht ein Thema, das eigentlich gemeinsam im EU-Konvent besprochen werden müsse, "herausziehen" und "in einer eigenen Gipfelformation ansprechen". Österreich stehe einer Diskussion innerhalb des Konvents aber aufgeschlossen gegenüber. Die ÖVP-Abgeordnete im EU-Parlament, Ursula Stenzel, lehnt den Gipfel entschiedener ab und bezeichnete ihn als "überflüssigen Aktionismus".