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Europas Motor im Krisenmodus

Von Gerhard Lechner

Politik
Finanzminister Olaf Scholz (l.) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier schnüren derzeit ein Rettungspaket nach dem anderen.
© REUTERS

Während andernorts der Nationalstaat Wiederauferstehung feiert, ist in Deutschland der Kampf gegen das Coronavirus Ländersache. Jetzt wurde in Berlin ein milliardenschweres Hilfspaket beschlossen. Die schwarze Null ist Geschichte.


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Die enorme Wucht der Corona-Krise bringt Deutschland, den Wirtschaftsmotor der Europäischen Union, ins Torkeln: Produktionsausfälle, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit lassen bei so manchem Beobachter im Nachbarland schon Assoziationen an das große Trauma des Landes, die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre, aufkommen. Diese hatte bekanntlich die angeschlagene Weimarer Republik in den Augen vieler Deutscher endgültig delegitimiert und den Weg zur Machtübernahme der Nationalsozialisten gebahnt.

Doch auch wenn es nicht so schlimm kommen wird wie damals - die Herausforderung, vor der die deutsche Gesellschaft steht, ist enorm: Clemens Fuest, der Präsident des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, rechnet mit Kosten in der Höhe von hunderten von Milliarden Euro. Je nach Szenario, so Fuest, schrumpfe die deutsche Wirtschaft um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte. Das wären Kosten von 255 bis zu 729 Milliarden Euro. "Die Kosten werden voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt ist", sagte der ifo-Präsident.

Massive Neuverschuldung

Laut den Berechnungen seines Instituts entstehen allein bei einem zweimonatigen Stillstand der Wirtschaft je nach Szenario Kosten zwischen 255 und 495 Milliarden Euro. Auch am Arbeitsmarkt komme es durch die Folgen der Ausbreitung des Coronavirus zu starken Verwerfungen, sagt Fuest: "Diese stellen die Zustände auf dem Höhepunkt der Finanzkrise in den Schatten." Bis zu 1,8 Millionen Menschen könnten ihren Arbeitsplatz verlieren, mehr als sechs Millionen könnten von Kurzarbeit betroffen sein.

Entsprechend umfangreich ist das Hilfspaket, dass die deutsche Regierung am Montag auf den Weg brachte: Ein Nachtragshaushalt wurde beschlossen mit einer Neuverschuldung von rund 156 Milliarden Euro, um Familien, Mieter, Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen umfangreich zu unterstützen.

Der Bundestag soll am Mittwoch zustimmen. Damit ist die vieldiskutierte "schwarze Null", die seit sechs Jahren im deutschen Haushalt steht, Geschichte. Kanzlerin Angela Merkel nahm an der Regierungssitzung übrigens nur telefonisch teil: Sie befindet sich, nachdem sie Kontakt zu einem Corona-infizierten Arzt hatte, in häuslicher Quarantäne - ein erster Test fiel am Montag jedoch negativ aus.

Das Hilfspaket soll über einen Zeitraum von drei Monaten unter anderem kleine Selbständige wie Künstler oder Pfleger mit direkten Zuschüssen von bis zu 15.000 Euro unterstützen. Über einen Stabilisierungsfonds sollen Großunternehmen notfalls gestützt werden können, eventuell auch mit Staatsbeteiligungen. Auch Krankenhäuser sollen Finanzhilfen bekommen. Überhaupt sollen dem Bund mehr Kompetenzen im Kampf gegen Pandemien eingeräumt werden.

Hahnenkampf in der Union

Unumstritten ist das in Deutschland nicht: Während im Großteil Europas die Corona-Krise zu einer Renaissance des Nationalstaats geführt hat und sich die Bevölkerungen hinter den jeweiligen staatlichen Führungsfiguren scharen, ist die Lage in Deutschland anders: In dem traditionell stark föderalistisch geprägten Land konnte man sich lange nicht auf ein einheitliches Vorgehen im Kampf gegen das Virus einigen. Die Regelungen sind selbst innerhalb der Länder oft unterschiedlich: So hatte etwa die Stadt Halle bereits vergangenen Donnerstag nicht nur die Schließung von Schulen und Kindergärten angeordnet, sondern auch die Absage aller öffentlichen Veranstaltungen. Anderswo waren auch die Schulen noch offen. Und innerhalb der Länder gelten ohnedies je eigene Regeln - an die sich das Virus wohl nicht halten dürfte.

Bei der Telefonkonferenz der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel vergangenen Sonntag traten die Nachteile des deutschen Föderalismus wieder offen zutage. Zwar einigte man sich auf ein gemeinsames Vorgehen, doch nicht ohne Reibereien: Zwischen Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und seinem nordrhein-westfälischen Amtskollegen Armin Laschet (CDU) soll es laut Medienberichten zu einem Streit gekommen sein. Laschet warf Söder demnach vor, im Alleingang zu handeln. Bayern hatte am Freitag als erstes Bundesland eine Ausgangssperre verhängt, andere Länder zogen nach. Söder, in der Union nicht unumstritten, gefällt sich in der Rolle als oberster Krisenmanager.

Flexibles Reagieren

Doch auch Laschet ist Eigensinn nicht fremd. Er hatte mit elf anderen Landeschefs ein Papier ausgearbeitet und auch gleich absegnen lassen, von dem Söder nichts wusste. Und nach der Telefonkonferenz drängte der Kandidat für den CDU-Vorsitz darauf, die Pressekonferenz abhalten zu dürfen.

Trotz dieses Hahnenkampfs gibt es in Deutschland auch genug Stimmen, die die föderalistische Verfasstheit des Landes verteidigen. Durch sie könne man flexibler auf Bedrohungslagen reagieren, heißt es. Und die sind nicht an jedem Ort in Deutschland gleich.