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Europas neue Chance als Standort

Von Walter Hämmerle

Politik
Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer ist zornig darüber, dass der türkische Präsident Erdogan das Leid von Menschen auf der Flucht dazu benutzt, noch mehr Geld zu erpressen.
© WZ/Moritz Ziegler

Oberösterreichs Landeschef Stelzer über die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus und die Flüchtlingskrise.


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Am Höhepunkt der Finanzkrise 2009 waren in Österreich fast 40.000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Politik und Sozialpartner arbeiteten, um die ärgsten Auswirkungen abzufedern. Dieses Szenario könnte sich nun wiederholen, wenn sich das neuartige Coronavirus weiter ausbreitet.

Am stärksten betroffen wäre Oberösterreich mit seinen global vernetzten Unternehmen. Die "Wiener Zeitung" hat mit Landeshauptmann Thomas Stelzer (53, ÖVP), der auch Vorsitzender der Landeshauptleute-Konferenz ist, über die Folgen und die Lage an der EU-Grenze zur Türkei gesprochen.

"Wiener Zeitung": Notenbanken und Wirtschaftsexperten bereiten sich auf die möglicherweise massiven Folgen des Coronavirus vor. Oberösterreich ist der größte Industriestandort der Republik: Was soll, was muss jetzt getan werden?Thomas Stelzer: Das Wichtigste ist, dass wir mit der Krankheit sorgfältig, aber auch vernünftig umgehen: Das Bemühen, die Ausbreitung des Coronavirus einzugrenzen, scheint erste Erfolge zu erzielen. Von daher setzen wir darauf, dass wir in absehbarer Zeit - im Land, in Europa, aber auch weltweit - wieder in geordnete wirtschaftliche Bahnen zurückkehren können. Das ist für ein Industrieland wie Oberösterreich besonders wichtig. Noch ist die Situation für die Unternehmen aus meiner Sicht verkraftbar, aber wir werden genau beobachten, falls es zu konkreten Problemen bei Lieferketten und Materialversorgung kommt. Für diesen Fall müssen dann Hilfsmaßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene angedacht werden. Aber noch sehe ich keine Notwendigkeit dafür.

Trotzdem hat Politik auch die Verantwortung, sich auf "Worst Case"-Szenarien vorzubereiten. Im AMS-Budget sind lediglich 20 Millionen für Kurzarbeit eingepreist. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass hier mehr Mittel bei Bedarf zur Verfügung stehen?

Wir werden uns natürlich gemeinsam bemühen, die Sicherheit von Arbeitsplätzen in Österreich zu gewährleisten. Ich will nur nicht jetzt schon darüber spekulieren, was alles notwendig werden könnte, weil wir darauf hoffen, dass sich die Situation in vertretbarer Zeit beruhigt. Meldungen, dass in China der Höhepunkt der Ansteckungen erreicht sein könnte, machen zuversichtlich.

Und dann heißt es "weiter so", als wäre nichts geschehen? Welche langfristigen Konsequenzen werden sich aus den Corona-Erfahrungen ergeben?

Wir werden sicher prüfen müssen, ob nicht Europa wieder stärker auf dem eigenen Kontinent produzieren sollte und dafür auch die Rahmenbedingungen bereitstellen muss. Globale Lieferketten sogar innerhalb eines Unternehmens fußen auf der Annahme, dass weltweit alles funktioniert. Jetzt lernen wir, dass sich das nicht verlässlich garantieren lässt. Deshalb wird es ein Thema sein müssen, Produktion in Europa wieder stärker zu ermöglichen.

Bleibt die Frage, ob sich das mit den zunehmend ehrgeizigeren Klimaschutzzielen vereinen lässt?

Ja, das denke ich schon, und Oberösterreich ist ein Beispiel dafür. Wir wären schon lange kein Industriestandort mehr, wenn nicht die Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Politik in Klima- und Umweltschutz investiert hätten. Aber wir dürfen die Wirtschaft nicht mit über-ehrgeizigen Zielen überfordern und gleichzeitig müssen unsere Unternehmen Zugang zu den Fördertöpfen der EU für Innovationen haben.

Erleben wir eine Neuausrichtung der globalen Arbeitsteilung hin zu mehr Regionalität?

Für solche weitreichenden Rückschlüsse ist es noch zu früh. Die Globalisierung geht mit vielen Vorteilen einher, aber man sollte nie aufhören, über Verbesserungen nachzudenken.

Was denken Sie als Mensch und Politiker, wenn Sie die Bilder von den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern und die aktuelle Situation an der Grenze zur Türkei sehen?

Ich bin, wie jeder andere, menschlich betroffen, aber zugleich auch zornig, dass der Präsident eines Landes, das sich bis vor kurzem noch als EU-Beitrittskandidat betrachtet hat, das Leid von Menschen dazu benutzt, noch mehr Geld zu erpressen oder politisches Kleingeld zu wechseln. Ein solches Verhalten muss international abgelehnt und geächtet werden.

Wird die Regierung diesen Belastungstest unbeschadet überstehen? Vor allem die Grünen haben schließlich hier stets einen ganz anderen Kurs verfolgt als die ÖVP.

Davon gehe ich aus, schließlich haben ÖVP und Grüne bei den Regierungsverhandlungen intensiv über dieses Thema gesprochen. Aus meiner Sicht gibt es in Österreich zwei Fundamente, denen die allermeisten Bürger zustimmen werden: Auf der einen Seite wissen wir, dass es eine große Hilfsbereitschaft in Not- und Krisenzeiten gibt, gleichzeitig besteht Konsens, dass sich eine Handlungsunfähigkeit des Staates wie in der Migrationskrise 2015/16 nicht wiederholen darf. Der Staat muss in jeder Situation Herr des Geschehens bleiben.

Die mittlerweile als "Privatmeinung" deklarierte Forderung von Grünen-Chef Werner Kogler, Kinder aus den Lagern herauszuholen, stünde dazu nicht im Widerspruch.

Das stimmt, aber man sollte immer dazu sagen, worum es bei Flucht und Asyl geht: Nämlich um unmittelbare Hilfe und Schutz für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Das Abkommen mit der Türkei hat genau das sichergestellt und deshalb müssen wir versuchen, dass dies auch wieder der Fall ist. Und wir dürfen nicht vergessen, dass bei der letzten großen Fluchtbewegung vor allem junge Männer gekommen sind und wenige Familien mit Kindern.