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Europas offene Flanke

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Die Wahlergebnisse in Europa lassen nicht viel Interpretation zu: Europas Bürger wollen einen prosperierenden Kontinent, der berufliche Perspektiven bietet. Das Spar-Korsett ist zu eng, und der flapsige Spruch, dass Angela Merkel nun auch in Frankreich eine Wahl verloren habe, hat einiges für sich. Zu den Wahlverlierern darf auch die EU-Kommission gezählt werden, und dort namentlich Antonio Tajani, der aus Italien stammende Industrie-Kommissar. Er stellt sich als Total-Ausfall heraus. Industriepolitische Impulse kommen keine aus Brüssel. Eine offene Flanke, die Arbeitslosigkeit befördert. Nicolas Sarkozy hätte die Wahl gewonnen, wenn der Norden Frankreichs nicht ent-industrialisiert worden wäre. In Problemländern wie Portugal, Griechenland und Spanien gab und gibt es industrielle Mono-Kulturen, die entweder von der Globalisierung oder der Finanzkrise weggespült wurden und nichts hinterließen. Während die EU den freien Warenverkehr propagiert und folgerichtig der Aufnahme von Ländern wie China in die Welthandelsorganisation zustimmte, passiert nichts, um der europäischen Industrie wettbewerbsfähige Bedingungen zu schaffen.

Die vollkommene Untätigkeit der EU-Kommission setzt sich dementsprechend in den Mitgliedsländern fort. Es ist viel von "green jobs" die Rede, aber damit wird Europa seinen Wohlstand nicht halten können.

Und während große Länder wie China ihre Märkte recht gefinkelt abschotten, ist Europa offen wie ein Scheunentor. Produktionsbetriebe in Europa haben - trotz Welthandelsorganisation - im globalen Maßstab Wettbewerbsnachteile. Das ist nicht nur eine kritische Öffentlichkeit gegen Großinvestitionen jeglicher Art, das sind auch unterschiedliche Umweltschutzstandards oder "nicht-tarifäre Handelshemmnisse".

Bei all diesen Themen müsste die EU tätig werden, ganz zu schweigen von Finanzierungserleichterungen. Dass die größten Banken Milliarden bei den Notenbanken horten anstatt Investitionen zu finanzieren, sollte einem EU-Industrie-Kommissar nicht egal sein.

Nach den Wahlen in Frankreich und Griechenland könnte also die EU-Kommission die "Europa 2020"-Strategie endlich mit Inhalten befüllen. Denn nur die Industrie ist in der Lage, die Arbeitslosigkeit in Europa zu reduzieren. Vielleicht sollten EU-Regierungschefs und EU-Parlamentarier das auch Antonio Tajani erzählen...