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Europas Regionen in Bewegung

Von Martin Heintel

Europaarchiv

"Europa der Regionen", EUREGIOs, LEADER-Regionen, Toursimusregionen, Ökoregionen, Planungsregionen, Zielgebietsregionen, Nationalparkregionen, Verkehrsregionen - diese Begriffe sind in den letzten Jahren immer häufiger genannt worden. Die Region wird als Handlungsebene neu entdeckt. Dennoch ist es nach wie vor sehr ungewohnt, über bisher vertraute Grenzen hinwegzudenken. Doch mit der zunehmenden Bedeutung des Regionalen ist eine zunehmende professionelle Herausforderung verbunden. Dem will der "Europäische Universitätslehrgang für Regionalentwicklung" an der Universität Wien Rechnung tragen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Verständnis von "Regionen" hat sich gewandelt. Regionen gelten heute nicht mehr primär als "Container-Räume", nicht nur als administrativ eindeutig abgegrenzte Einheiten wie Staaten, Bundesländer oder politische Bezirke. Vielmehr bilden spezifische Zusammenhänge und raumrelevante Interaktionen die Grundlage. Problembezogene Allianzen, Kooperationsbeziehungen, Netzwerke, soziale Handlungsbezüge oder institutionelle Bindungen sind für eine Regionsbildung mitverantwortlich. Regionen können sich auch überlagern, je nach Investition, Beziehungsnetzwerk oder auch kultureller Ausprägung.

Administrative Grenzen . . .

Eine neue Sichtweise von Regionen bedingt auch ein Umdenken und eine Neuorientierung der handelnden Akteure und Institutionen. Regionalentwicklung ist eingebettet in ein Spannungsfeld von Politik (Arbeitsmarkt-, Raumplanungs-, Regional-, Agrar-, Wirtschafts- und Sozialpolitik), Verwaltung (Europäische Union, Staats- und Länderebene, Gemeinde) und regionalen Akteuren (Vereine, Kooperativen, Beratungsinstitutionen, Regionalmanagements). In der Regel gilt es jedoch, erst (gesetzliche) Grundlagen für "regionales Handeln" zu schaffen. Starre, administrativ bedingte Grenzen sind für Inhalte und Projekte hinderlich, auch Zielgebiete der europäischen Regionalförderung bedürfen hier einer Anpassung und Anschlussfähigkeit an z.B. nicht geförderte Nachbarregionen. Gemeinschaftsinitiativen wie "LEADER+" und "INTERREG III" bilden hierfür den Rahmen - ihnen könnte künftig, nach der geplanten Erweiterung und nach der jetzt gültigen Programmplanungsperiode der EU ab dem Jahr 2006, eine verstärkte Bedeutung zukommen.

Das Zustandekommen von Regionen korreliert mit spezifischen lokalen und regionalen Voraussetzungen. Bestehende lokale und überregionale Akteursgruppen und Netzwerke (Humanressourcen, Know-how, "lokales/regionales Wissen", Kooperationen) sind ebenso mitverantwortlich für die Bildung (Profilierung) einer Region wie die bestehende Dichte der Infrastruktur (regionale Wirtschaft, Unternehmen, "Cluster" etc.). Vor allem (überregionale) Beziehungen und Beziehungssysteme sind es, die zukünftig verstärkt an Bedeutung gewinnen und den regionalen Verbund bestimmen werden. Vieles ist auf europäischer Ebene nur dann förderungswürdig, wenn ein "Komplementärnutzen" entsteht, d.h., mehrere Partner (Länder, Projekte) miteinander kooperieren müssen, um Fördergelder zu erschließen.

Diesem Verständnis von "Regionen" wurde in Österreich (anders als z.B. in Deutschland) bisher noch ungenügend Beachtung geschenkt. Gerade das Verhältnis zwischen Stadt und Land (Großraum) ist neu zu konzipieren. Hemmfaktoren sind administrative Grenzen, Sektoralpolitik und Parteipolitik. Beispiele wie die Region Stuttgart oder Hannover seien als Vorzeigeprojekte genannt, um v.a. die massiven Probleme in sogenannten "Übergangsräumen" zwischen Stadt und Land - bis hin in die Legislative - neu zu akzentuieren.

. . . und Parteipolitik als Hindernis

Zu stützen sind daher Maßnahmen, die von der Konzeption her "grenzüberschreitend" und "transsektoral" sind. Gemeint sind damit zum einen Gemeinschaftsinitiativen der EU-Regionalförderung, aber auch z.B. Projekte im Rahmen der Gebietsschutzpolitik wie Naturparks oder Nationalparks. Hier könnte zusätzlich über die Begrifflichkeit einer "strategischen Kulturlandschaftsentwicklung" auch eine Neudiskussion über Aufgaben, "Werte" und Optionen im (ehemals) landwirtschaftlichen Bereich stattfinden.

Mit dem wachsenden Bedeutungsgewinn der regionalen Ebene ist jedoch auch eine Trendwende zu einer zunehmenden Professionalisierung in der Regionalentwicklung notwendig. Der Wechsel von der vorprofessionellen zur professionellen Zeit der Regionalentwicklung ist zum Beispiel durch eine Ausdifferenzierung des organisatorischen und inhaltlichen Rahmens diverser mit Regionalentwicklung befasster Institutionen gekennzeichnet. Auch Regionalmanagements sind Ausdrucksformen (Instrumente) dieser Professionalisierung. Sie entsprechen dem Trend zur Aufwertung sogenannter "weicher Standortfaktoren". Auch die zunehmende staatliche Investitionsbereitschaft in Regionalmanagements jenseits "regionaler Experimente" zeichnet eine Trendwende hin zu einer professionellen Zukunftsorientierung mit strategisch staatlichen Interessen. Es wurde erkannt, dass ein Regionalmanagement nicht nur für periphere Regionen, sondern auch für wirtschaftsstarke Räume und Städte wertvolle Dienstleistungen zu bringen imstande ist. So wurde beispielsweise im Herbst 2001 von der Stadt Wien ein Regionalmanagement für Wien-Nord und die angrenzenden Umlandgemeinden implementiert. Regionalmanagement kann nun als "additiver Ansatz" zu bisherigen Instrumenten der Regionalpolitik zwischen Staat und lokaler Ebene als verankertes Instrument betrachtet werden.

Professionelle und institutionelle Basis

Um auf unterschiedliche neue Herausforderungen wie etwa Osterweiterung, grenzüberschreitende Kommunikation und Planung der europäischen Regionalförderungen entsprechend reagieren zu können, bedarf es einer zielgerichteten Qualifizierung im Regionalmanagement. Qualifizierungsmaßnahmen in diesem Bereich haben lange Zeit gefehlt.

Aus diesem Grund wurde der "Europäische Universitätslehrgang für Regionalentwicklung - Master of Advanced Studies in Regional Management (EUR-MAS)" als ein interdisziplinäres Weiterbildungsprogramm für Professionalisten in der Regionalentwicklung konzipiert. Dieser Lehrgang schließt an den Europäischen Universitätslehrgang für Regionalentwicklung (EUR), der als Pilotprojekt bereits in den Jahren 1998-2000 durchgeführt wurde, an.

Das Interuniversitäre Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) als ein Institut an vier großen österreichischen Universitäten (Wien, Graz, Innsbruck und Klagenfurt) bietet diesem Lehrgang eine interuniversitäre Basis.

Interdisziplinärer Lehrgang

Über die Verankerung an österreichischen Universitäten hinaus wird die Qualität des Lehrgangs durch Kooperationen mit Instituten weiterer europäischer Universitäten und mit renommierten europäischen Forschungs- und Beratungseinrichtungen der Regionalentwicklung sichergestellt. Kooperationspartner des EUR-MAS sind u.a. die Gesamthochschule Kassel und die Hochschule Vechta in Deutschland, das Arkleton Centre for Rural Development Research/ University of Aberdeen (Schottland), das Österreichische Institut für Raumplanung (ÖIR), die ÖAR-Regionalberatung, das Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien und das Österreichische Bundeskanzleramt (Abteilung Raumplanung und Regionalpolitik IV/4). Gerade das Bundeskanzleramt hat hier in Österreich über Jahrzehnte positive Impulse in der Regionalentwicklung ermöglicht.

Prädestiniert für die Teilnahme an diesem Lehrgang sind professionell Tätige in der Regionalentwicklung wie Regionalmanager, Regionalberater, Regionalplaner, Dorf- und Stadtentwickler usw., die eine akademische Zusatzqualifizierung anstreben.

Sozialkompetenz und Managementfähigkeit

Ziel des EUR-MAS ist die Aneignung von Wissen auf aktuellem wissenschaftlichem Niveau, die Erweiterung und Förderung der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit auf regionaler Ebene sowie die Steigerung der Managementleistung in regionalen Projekten (Projektkompetenz). Der EUR-MAS zielt auf:

1. ein besseres Verständnis der Veränderungsdynamik europäischer Regionen, Städte, Stadt-Umland- und peripherer Regionen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer zunehmenden Globalisierung und der Erweiterung der EU,

2. ein reflektiertes Management von Lernen und Innovation als professionelle Aufgabe der Regionalentwicklung,

3. eine erhöhte Professionalität im Regionalmanagement und beim Aufbau von effizienten organisatorischen Strukturen der Kommunikation und Kooperation in den europäischen Regionen,

4. eine Verbesserung der Entwicklungschancen europäischer Regionen im internationalen Vergleich.

Auf die Methodik einer lern- und problemorientierten Vermittlung wird besonders Wert gelegt. Die Mehrzahl der Module wird in verschiedenen europäischen Städten durchgeführt, so u.a. in Aberdeen, Bremen, Brüssel, Hannover, Kassel, Krems und Wien. Neue Medien unterstützen dabei die Kommunikation an unterschiedlichen Lernorten.

Regionale Innovation selbst in die Hand nehmen

Der EUR-MAS versteht sich als Lern- und Denkraum, um einen Theorie-Praxis-Mix auf Qualifizierungsebene sicherzustellen und gleichzeitig europaweit relevante Inhalte der Regionalentwicklung mitzubestimmen. Die zentralen Aspekte dieses Lehrgangs sind um die Herausforderung des Lernens und der gezielten Innovation von Regionen gruppiert. Innovationsfähigkeit von Regionen erfordert die Umsetzung eines Konzepts von Lernen, in dem nicht nur einzelne Menschen, sondern auch Organisationen und darüber hinaus die Region lernen, ihre Innovationsprozesse selbst in die Hand zu nehmen. Der Begriff "Lernende Regionen" hat sich hier als Schlagwort etabliert.

Regionalentwicklung ist gegenwärtig eine weitgehend konsensfähige Maßnahme zur Bearbeitung lokaler und regionaler Aufgabenfelder in Wirtschaft, Politik und gesellschaftsbezogenen Themenfeldern. Regionalentwicklung als Summe von europäischer, nationaler und regionaler (lokaler) Politik bedarf eines Zusammenspiels und einer Koordination der dargestellten unterschiedlichen Politbereiche, um Effizienz und Qualität zu sichern. Fragen regionaler Entwicklung bedürfen regionalspezifischer Antworten. Nicht im Sinne einer Kontextlosigkeit zum "Rest der Welt", zu Nachbarregionen und Netzwerkpartnern. Gemeint ist damit, dass je nach Problemstellung auch problemadäquate Antworten gefunden werden müssen. Gemeint ist damit auch, dass es nicht eine/die (regionalwissenschaftliche) Theorie gibt, die immer Anwendung findet (finden kann). Vielmehr bedarf es eines Sets an theoretischer Fundierung, weniger dogmatischer Orientierung, um letztendlich unterschiedliche Antworten auf mitunter auch vergleichbare Fragestellungen geben zu können.

Anmeldungen zum nächsten Lehrgang - mit Beginn im Wintersemester 2002 - sind noch bis Ende März 2002 möglich. Weitere Infos gibt es im Internet unter: http://eur-mas.iff.ac.at

Dr. Martin Heintel vom Institut f. Geographie u. Regionalforschung d. Universität Wien war führend an der Gründung des EUR-MAS-Lehrgangs für Regionalentwicklung beteiligt.