Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Er hat fast geweint. Als EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Toten auf Lampedusa besuchte, meinte er, er werde nie das Bild der Särge aus seinem Kopf bekommen. So zynisch es klingt: Diese Möglichkeit hätte er viel früher haben können, hätte er nur hingeschaut. Seit zig Jahren werden an Europas Stränden tausende Leichen angespült. Es mussten erst 300 Menschen auf einmal sterben, damit die Politik mit der Wimper zuckt.
Die Reaktionen sind aber scheinheilig. Denn die Union hat sich dazu entschieden, ihre eigenen Gesetze nicht einzuhalten. So schickten Frontex-Patrouillen Boote einfach zurück - ein systematischer Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement, das über die Genfer Flüchtlingskonvention im EU-Primärrecht verankert ist. Demnach dürfen Menschen nicht in ein Land geschoben werden, in dem Menschenrechtsverletzungen drohen, eine Abschiebung ohne Einzelfallprüfung ist unzulässig. Die Verletzung dieser Grundsätze wird mit Eurosur eingemauert. Dieses System hat mit Humanität nichts zu tun, es geht nur darum, Europa weiter abzuschotten. Wer so verzweifelt ist, sich mit Schlauchbooten ohne Navigator auf hohe See zu wagen, lässt sich nicht durch Kontrollen abhalten.
Die einzige Möglichkeit, das Sterben zu verhindern und den Schleppern buchstäblich das Wasser abzugraben, ist eine legale Einreise nach Europa. Vor Jahren wurde die Idee der Development Visa geboren - zeitlich befristete Visa zu Arbeits- oder Ausbildungszwecken. Dies würde zu Wissenstransfer führen und die niedrige Entwicklungshilfe ausgleichen. Auf lange Sicht braucht Europa Arbeitskräfte, auch niedrig qualifizierte.
All diese Ideen werden ignoriert. Wie die Toten im Meer. Stattdessen bricht die Union lieber ihre eigenen Gesetze und weint.