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Europas Schulden in der Krise

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Wirtschafts- und Sozialanalytiker und unter anderem auf kreditwirtschaftliche, genossenschaftliche und sozialpolitische Themen spezialisiert.
© privat

Brexit und Corona rufen eine große finanzielle Lücke in der EU hervor.


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Die EU hatte ihre Budgetverhandlungen in Folge der Corona-Krise ausgesetzt. Zusätzlich zum regulären Budget wird der Finanzierungsbedarf durch die vereinbarten Wiederaufbauhilfen steigen. Mit Großbritannien verliert die EU nicht nur einen starken kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Partner, sondern auch einen Nettobeitragszahler. Mit fast 7 Milliarden Euro (trotz Rabatt) standen die Briten hinter Deutschland und noch vor Frankreich, Italien und den Niederlanden an zweiter Stelle. Nicht nur dieser Saldo ist künftig neu auszugleichen, wenn nicht Ausgaben und damit auch Zuwendungen an Nettoempfänger gekürzt werden sollen, sondern auch die geplante Wiederaufbauhilfe in Höhe von 750 Milliarden Euro ist gegenzufinanzieren.

Den mit mehr als 70 Prozent größten Anteil zu den EU-Eigenmitteln leistet die Abgabe auf das Bruttonationaleinkommen (BNE) eines jeden Mitgliedstaates. Hinzu kommen vor allem Zölle, Agrarzölle, Zuckerabgaben und ein Anteil an den Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten.

Um den BNE-Abgabensatz drehte sich die Diskussion. Doch es stand das Veto des österreichischen Kanzlers im Raum, ähnlich zurückhaltend ist die Position in den laufenden Verhandlungen.

Die EU ist auf Zahlungen ihrer Mitglieder angewiesen, da sie selbst keine Kreditmittel aufnehmen darf. Jetzt sollen Anleihen aufgelegt werden, was im Falle außergewöhnlicher Ereignissen erlaubt ist (Artikel 122 Absatz 2 im EU-Vertrag).

Wie sehr die Budgets der EU-Staaten bereits jenseits des Maastricht-Kriteriums für die öffentliche Staatsschuldenquote von 60 Prozent des BIP liegen, verdeutlichen die Daten für die Eurozone (19 Staaten). Die Quote liegt für 2019 bei 86,4 Prozent (für 2020 geschätzt bei 102,7 Prozent) gegenüber 80,6 Prozent (2020: 95,1 Prozent) für die gesamte EU. Innerhalb der Eurozone sind Griechenland, Italien und Portugal mit einer Quote von mehr als 100 Prozent belastet, aber auch so große Länder wie Frankreich (2019: 98,1 Prozent, 2020: 116,5 Prozent) und Spanien (2019: 95,6 Prozent, 2020: 115,6 Prozent) liegen über dem Durchschnitt, während Österreich mit 70,4 Prozent (2020: 78,8 Prozent) gut abschneidet. Länder außerhalb der Eurozone wie Tschechien, Dänemark oder Schweden weisen für 2019 deutlich unter 40 Prozent auf, Bulgarien sogar nur etwas mehr als 20 Prozent.

Im Falle einer Erhöhung des Abgabensatzes kommt es zu einer Umverteilung, bei der die EU alle jetzt notwendigen Ausgaben auf Kosten einer höheren Verschuldung der Mitgliedstaaten finanziert. Dies betrifft auch die beiden Nettozahler Italien und Frankreich, deren Staatsschuldenquote heute schon deutlich über dem EU-Durchschnitt liegt, während sie innenpolitisch schwierige Zeiten zu bestehen haben.

Vor diesem Hintergrund behalten das Veto des österreichischen Kanzlers und die Zurückhaltung der "sparsamen Vier" ihr Gewicht. Ein moderater Abgabensatz entlastet gerade auch überdurchschnittlich verschuldete EU-Mitglieder. Aber die Antwort auf die Frage, wer für die Verbindlichkeiten eines "Bürgen mit leeren Taschen" (wie es der verstorbene Rechtswissenschafter Heinz Krejci nannte) haftet, bleibt offen. Hier wäre eine von der Basis getragene Refinanzierung wünschenswerter, als dass die Spitze den Schuldenberg nur weiter erhöht.