Man muss sich angesichts verschiedener Fehlentwicklungen zu Recht fragen, ob ein europäischer Eingriff nicht noch mehr Schaden anrichten wird.
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Den wenigen Menschen, denen es vergönnt war, Nordafrikas Küste noch zu Friedenszeiten - also vor dem Arabischen Frühling - zu bereisen, wird das Bild schreiender Taxilenker und Geldwechsler am tunesisch-libyschen Grenzübergang Ras-Ajdir noch lebhaft in Erinnerung sein. Heute, nach der vom Westen stark ersehnten "Demokratisierung" des Maghreb, hat sich dieses Bild verfärbt: Waffenhändler und Dschihadisten treiben entlang der Küstenstraße, der Lebensader des Wüstenstaates Libyen, ihr Unwesen. Meldungen zufolge wurden auch einige der Attentäter des Anschlags in der vorigen Woche im Nationalmuseum von Tunis in Libyen ausgebildet.
Der letzte Anschlag davor im rohstoffarmen Tunesien ereignete sich im Jahr 2002 auf der beliebten Ferieninsel Djerba. Damals wurden 19 Menschen beim Besuch der Synagoge Al-Ghriba, des ältesten jüdischen Gebetshauses Nordafrikas, durch eine Explosion getötet. Das Vorreiterland der Arabellion muss erneut um die Zukunft der Fremdenverkehrsindustrie, in der rund 400.000 Tunesier direkt beschäftigt sind, bangen. Die Pläne der EU, in Nordafrika zu intervenieren und die Grenzen dort schärfer zu überwachen, nehmen allmählich Gestalt an. Doch was erhofft man sich auf lange Sicht davon?
Die Entsendung einer "Friedensmission" in den Maghreb wird nicht nur von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel in Erwägung gezogen. Nach der Entführung eines österreichischen Ölarbeiters in Libyen durch IS-Milizen drängt auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz zum Handeln. Das plötzliche außenpolitische Aktivwerden der Europäischen Union mag verwundern, und man muss sich angesichts der Fehlentwicklungen, zu denen europäische Regierungen seit 2011 in verschiedenen Teilen der Welt massiv beigetragen haben, zu Recht fragen, ob ein Eingriff mit eigenen Sicherheitskräften nicht noch mehr Schaden anrichten wird.
Ohne die Identität der Rebellen überhaupt zu kennen, hatten die Regierungsspitzen vor fast vier Jahren zum Sturz des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi aufgerufen. Intellektuelle wie der gefeierte französische Journalist Bernard-Henri Lévy ließen sich damals auf das Niveau einer noch nie dagewesenen Kampfrhetorik herab, die man jetzt allenfalls mit "geistiger Verblendung" gleichsetzen würde. Doch anscheinend hat man aus vergangenen Fehlern nicht gelernt: Wieder will sich die EU als "Friedensstifter" in Kriegsgebieten aufspielen, in denen man über keinerlei landeskundliche und soziokulturelle Kenntnisse verfügt. Und wieder konzentriert man sich nur auf Symptome, ohne die eigentlichen Ursachen der Probleme in Angriff zu nehmen - wie etwa die zahlreichen unkontrollierten Geld- und Waffenlieferungen vom Arabischen Golf sowie die Rekrutierung junger, kaum ausgebildeter und zumeist arbeitsloser Männer und deren Missionierung durch wahabitisch-fundamentalistisches Gedankengut.
Wäre eine friedenserhaltende UN-Mission da nicht sinnvoller, anstatt europäische Soldaten in einen Krisenherd zu entsenden, in dem sie sich im "Kampf gegen den Terror" mehr schlecht als recht profilieren sollen?