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Europas stärkste Waffe

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Die EU muss der Ukraine mit (fast) allen Mitteln helfen, aber sie darf dabei nicht ihre Einigkeit gefährden.


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So lange Russlands Truppen in der Ukraine morden und zerstören, so lange wird auch die EU die Sanktionsschraube drehen. Es sind Wladimir Putin und sein Regime, die über den weiteren Verlauf bestimmen. Von daher kann und darf die EU auch ihre schärfste Waffe, die Verhängung eines Energieboykotts, nicht ausschließen.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Eine entschlossene und geschlossene Reaktion der EU-27 war vor Beginn der Invasion keineswegs ausgemacht. Einen Ausgleich mit dem Riesenreich im Osten zu moderieren, war für viele europäische Staatskanzleien vernünftig, nicht nur in Berlin oder Wien.

So gesehen kann, ja muss die Geschlossenheit der 27 EU-Mitgliedstaaten gegen den Kreml als größte außen- und sicherheitspolitische Leistung bezeichnet werden (zu der mit Sicherheit auch die USA mit Präsident Joe Biden einen Beitrag geleistet haben), auch wenn sie, moralisch betrachtet, selbstverständlich ist. Geht diese Geschlossenheit verloren, ist die Ukraine verloren und die EU ultimativ gedemütigt.

Massaker wie in Butscha schweißen die EU zweifellos zusammen und verstärken die Solidarität mit Kiew weiter, doch auch negative Folgen des Wirtschaftskrieges in der EU treten zusehends deutlich zutage. Wie sich mithilfe des Krieges Wahlen gewinnen lassen, hat soeben erst der ungarische Premier Viktor Orban vorgemacht. Auch am Mittwoch ist er mit dem nicht abgesprochenen Angebot eines Gipfeltreffens zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgeprescht.

Die Aussichten auf eine wegen eines schnellen Energieboykotts neuerliche Rezession wird auch in anderen Ländern eine gefährliche Debatte anstoßen. Die absehbare Stichwahl um die französische Präsidentschaft zwischen Amtsinhaber Emmanuel Macron und Marine Le Pen am 24. April könnte die nächste Gelegenheit dazu bieten, und mehr werden folgen.

Mit dem Krieg Russlands in der und um die Ukraine steht die EU vor der größten strategischen Herausforderung seit ihrer Gründung. In Friedenszeiten haben verlässlich wirtschaftliche Interessen einen Schulterschluss aller EU-Staaten gegenüber einer Bedrohung untergraben. Das darf sich jetzt auf keinen Fall wiederholen.

Dass die EU-Spitze nun formuliert, ein Energieboykott werde kommen, aber nicht schnell, kann man als zu zögerlich oder auch feig interpretieren. Oder aber als klugen Versuch, die prekäre Geschlossenheit der Union in der Konfrontation mit dem Kreml unbedingt zu bewahren. Europas größte Chance auf Stärke liegt in der Union ihrer Mitglieder.