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Drei Staaten haben heute Anteil an der grenzüberschreitenden Region Istrien: Kroatien, Slowenien und Italien. Nach rund 80 Jahren der mannigfaltigen nationalistischen Flurbereinigungen versuchen die Menschen nun, der alten Vision einer lebendigen Vielvölkerregion neues Leben einzuhauchen. Rund 40 Bürgermeister aus Österreich, Tschechien, Polen und Slowenien begaben sich daher auf Initiative der Kommunalpolitischen Vereinigung und der Politischen Akademie dorthin, um unter dem Motto "Meet Europe" das Potenzial einer ethnisch vielfältigen Region persönlich kennen zu lernen.
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Die Liste der Kommunalpolitiker könnte unterschiedlicher kaum sein: Sie stammen aus Kleinstgemeinden wie dem steirischen Ungerdorf oder dem Waldviertler Pölla, aus Städten wie Innsbruck, dem tschechischen Brünn und Königgrätz oder aus dem südpolnischen Krakau. Gekommen sind sie - teilweise mit Familie - in das nah an der slowenischen Grenze liegende kroatische Umag, um im Rahmen von "Meet Europe" an einem Gemeinschaftsprojekt von Kommunalpolitischer Vereinigung (ÖVP), Hans-Seidel-Stiftung (CSU), Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) und Kroatischer Demokratischer Union (HDZ) teilzunehmen. In Englisch, der "lingua franca" unserer Zeit, eigneten sie sich Kenntnisse zu den Schwerpunktthemen EU-Erweiterung und internationale Verwaltung an, führten Gespräche vor Ort mit Städten und Unternehmen, die auf der Suche nach Investoren und Partnern sind.
Vielvölkerregion Istrien
Soweit zum unmittelbaren Anlass dieser "Bildungsreise". Istrien eignet sich aber auch aus grundsätzlicheren, nämlich europäischen Beweggründen heraus als Reiseziel für Politiker aus dem ethnischen "Fleckerlteppich" Mitteleuropas. Auf kleinstem Raum begegnet man hier einem reichen jahrhundertealten multinationalen Erbe, das auch von einer rund 80-jährigen Politik der mannigfaltigen nationalistischen Flurbereinigungen nicht ausgelöscht werden konnte, und das heute eine neuerliche Blüte erfährt. Tatsächlich ließe sich nur schwer eine geeignetere Gegend finden, die dem gewählten Motto - Europa treffen - besser entspricht. Und all dies noch dazu außerhalb der oftmals so selbstverliebten Europäischen Union.
Diese multinationale Idylle war allerdings nicht von vornherein gegeben. 1409 kam der Küstenstreifen, im Besitz des Königs von Ungarn und Neapel, an die Republik Venedig. Das waldreiche Gebiet Istriens wurde ab 1640 von Siedlern aus dem Balkan urbar gemacht, die der Türkeninvasion entronnen war und von der Republik Venedig hier angesiedelt wurde, um die Region, die nach der Pest von 1630 fast völlig entvölkert war, neu zu besiedeln.
Der schnell wachsende Wohlstand zog nach und nach Hirten und Handwerker aus dem slawischen Hinterland, wo treue Vasallen Habsburgs als Feudalherren herrschten, an die Küste. So wurde Istrien von landlosen venezianischen Bauern und slawischen Karsthirten friedlich in Besitz genommen. Daraus wurde ein buntes Völkergemisch. Im 18. Jahrhundert wurden Triest, Istrien und Dalmatien Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie.
Um 1900 lebten in Triest und dem umgebenden Hochland knapp 230.000 Menschen. Davon waren die Hälfte Italiener, 57.000 Slowenen, hinzu kamen Reichsitaliener, Deutsche und Kroaten. In Istrien lebten damals rund 370.000 Menschen. Die Italiener stellten an die 40 Prozent der Bevölkerung, die Kroaten 43 Prozent. 14 Prozent der Istrier waren Slowenen. Ein geschlossenes italienisches Siedlungsgebiet bildete lediglich der Küstenstreifen Istriens, das Hinterland war im Süden von Kroaten, im Norden von Slowenen bewohnt. Sogar eine kleine, aus mehreren Dörfern bestehende rumänische Sprachinsel existierte in Istrien vor dem Ersten Weltkrieg.
Am 4. November 1918 vertrieben italienische Truppen die Österreicher und hissten ihre Trikolore. Der istrische Schriftsteller Fulvio Tomizza beschreibt das Ende des Ersten Weltkrieges in seiner Heimat: "Als die österreichisch-ungarische Monarchie, gesprengt durch das erwachende Nationalgefühl ihrer vielen Völkerschaften, zerfiel, neigten auch meine Nachbarn dazu (oder wurden gezwungen), ihrer fernen Herkunft, der italienischen oder der slawischen, nachzuspüren - und mehr als einer traf die Wahl nach dem wirtschaftlichen Vorteil oder nach seinen Vorlieben. Es war die Spaltung, eine Art Familiengezänk zunächst, ein Streit zwischen armen Verwandten (den Sympathisanten der Kroaten) und reichen Verwandten (den Mitgliedern der Lega Nazionale, des italienischen Nationalvereins, der im alten Istrien für den Anschluss an Italien warb), aber der Keim zur faschistischen Diskriminierung war gelegt".
Vielfalt wird zum Problem
Während die Nationalisten 1918 feierten, forderten die Sozialisten die Schaffung eines Freistaates Triest, Istrien und Fiume/Rijeka: Ein Grund mehr für die italienische Siegermacht, Slawen und Sozialisten zu verfolgen. Allein aus Pula flüchteten über 20.000 Slawen und weitere 50.000 verließen ihre Heimat.
Mit dem Vertrag von Rapallo 1920 wurden Istrien, Zara und einige Inseln vor Dalmatien Teile Italiens. Fiume/Rijeka wurde Freistaat und Dalmatien kam an das jugoslawische Königreich. Schon vor der faschistischen Machtübernahme provozierten italienische Nationalisten Zwischenfälle im mehrsprachigen Istrien und wurden nichtitalienische Beamte entlassen. Mit einem weiteren Vertrag wurde 1924 auch Fiume/Rijeka nach Italien "heimgeführt".
Mussolinis Diktatur begann mit einer ethnischen Flurbereinigung. Lebensraum wollte eben erst "geschaffen" werden. Schulen, Zeitungen und Vereine von Kroaten und Slowenen wurden geschlossen, insgesamt 500.000 Namen "italienisiert".
Im 2. Weltkrieg marschierten italienische Truppen nach Slowenien ein. Der kroatische Ustascha-Staat musste die gemischtsprachigen Gebiete Dalmatiens und Istriens dem Verbündeten Mussolini überlassen. 1943 standen sich schließlich auf der einen Seite deutsche Nazis, italienische und kroatische Faschisten, auf der anderen slowenische, kroatische und italienische Widerstandskämpfer gegenüber. Die Partisanenverbände Titos stießen bis nach Triest vor und besetzten 1945 die Stadt.
Wie stets wurde mit biblischer Münze heimgezahlt: Die slawischen Kommunisten verhafteten rund 6.000 Angehörige der italienischen Minderheit, nicht wenige davon blieben bis heute verschollen. Erst die Besetzung Triests durch die USA machte all dem ein Ende. 1947 wurde die Stadt Freistaat, in dem sich die Italiener die Vorherrschaft sicherten. Istrien, Fiume/Rijeka, Pula, Zara und andere Teile Dalmatiens wurden jugoslawisch. Mit dem Rückzug der Engländer aus Pula flüchteten viele italienische Istrier, die sich vor Repressalien der Tito-Partisanen fürchteten. Andere taten dasselbe auf Anraten der italienischen Regierung.
Zerfall mit positiven Folgen
Im kroatisch-serbischen Konflikt Anfang der 90er Jahre hielten sich die italienischen Istrier heraus. Allerdings beäugten sie die slowenische und kroatische Unabhängigkeit mit Skepsis. Denn mit der Entstehung neuer Grenzen zwischen Kroatien und Slowenien wurde nicht nur das italienische Siedlungsgebiet, sondern auch die verschiedenen Schutzgesetze für die Minderheit zerschnitten. Diese skeptische Haltung war dem Verhältnis der jungen Staaten zu ihren italienischen Minderheiten nicht gerade förderlich. Im Februar 1991 wandten sich daher rund 4.000 Istrier mit einem Hilferuf an die italienische Regierung: Sie forderten die italienische Staatsbürgerschaft und einen italienischen Pass, um dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat zu entkommen. Da das offizielle Italien sich taub stellte, begab man sich auf die Suche nach Alternativen.
Die italienische Minderheit wählte nicht deren schlechteste: Gesundes Selbstbewusstsein. Am deutlichsten belegen dies die Wählerlisten: Kreuzten noch 1981 nur knapp 15.000 Bürger Kroatiens die italienische Nationalität an, waren es bei der Volksabstimmung für die Unabhängigkeit Kroatiens plötzlich 100.000. Zweisprachige Istrier und italienischstämmige Kroaten entdeckten ihre "italianità", die kroatischen Istrier bekannten sich wieder zur multinationalen Tradition ihrer Heimat. Mit dem Beginn der Demokratisierung wuchs die italienische Minderheit daher zu einer nicht mehr zu übersehenden Gruppe heran.
Heute ist die stärkste politische Kraft in Istrien die "Istrische Demokratische Versammlung" (IDS). Sie verfolgt trotz der Aufteilung des alten Istriens - Triest und ein Winzig-Hinterland wurden italienisch, Capodistria/Koper slowenisch und der große Rest Istriens kroatisch - als Ziel, diese Region wieder zusammenwachsen zu lassen.
Wie anders als mit dem Mittel der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung sollte dies möglich sein? Die Vision: Eine europäische Region, ohne Nationalismus und Eigenstaatlichkeit. 1.000 Jahre haben Italiener, Slowenen und Kroaten in Istrien friedlich zusammengelebt. Trotz aller wirtschaftlichen Ungleichheiten gab es ein istrisches Gleichgewicht, ein weitgehend friedliches Zusammenleben der Nationalitäten. Hier will man heute wieder anknüpfen.
Beachtliche Erfolge
Den Teilnehmern von "Meet Europe" zeigten sich beeindruckende Erfolge, die sich sehen lassen können - und zwar europaweit. Über zweisprachige Ortstafeln redet hier kein Mensch. Statt dessen sind sämtliche öffentliche Gebäude und Straßen zweisprachig beschildert. Und in den Rathäusern wird das jeweilige Stadtwappen von den Nationalfahnen Kroatiens und Italiens flankiert. Dem jungen kroatischen Nationalstaats scheint dies alles aber doch ein wenig zu schnell zu gehen: Insbesondere die Entscheidung, Italienisch als gleichberechtigte Amtssprache anzuerkennen, stieß in Zagreb auf verfassungsrechtliche Bedenken.
Offensichtlich war aber auch das internationale Gemeinschaftsprojekt "Meet Europe" (http://www.meet-europe.net ) ein voller Erfolg, soll es fortan doch zu einem jährlichen Fixpunkt für mitteleuropäische Kommunalpolitiker werden. Für Reinhard Peter, Projektleiter an der Politischen Akademie, sind es vor allem die persönlichen Kontakte, die den Wert dieses Projektes ausmachen. Er sieht solche Reisen als wichtigeren Beitrag für die Idee eines gelebten "Europa der Regionen" als noch so viele Beschlüsse des Europäischen Parlaments.