![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
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Der Irakkrieg hatte wochenlange Spekulationen darüber beendet, ob er stattfindet. Wer am Gewaltmonopol der UN festhalten und die Chance der Massenvernichtungswaffensuche der UN erhalten wollte, setzte auf Friedenserhaltung trotz Truppenaufmarsch der USA und Großbritanniens. Den USA als Demokratiestifter und Europaretter verbunden, hofften viele darauf, dass dieser nur als Druckmittel dienen soll. Dahrendorf rechtfertigt mittlerweile den Krieg ohne UN-Mandat, Hans Magnus Enzesberger schilt Pazifisten, weil sie in Saddam nicht Hitler erkannt haben - als ob die Bedeutung des Dritten Reiches der Dreißigerjahre mit der des Irak von 2003 vergleichbar wäre.
Die Investoren in die Positionierung einer High Tech Armee von rd. 300.000 Menschen wollen die Rendite des auf diese Unart eingesetzten Kapitals. Diese ist nur gewährleistet, wenn die Erdölförderung direkt kontrolliert werden kann. Es geht weniger um die Versorgung. Irgendwer muss ja das Öl kaufen. Es geht daher um die Schwächung des Ölkartells OPEC: OPEC minus Irak, minus - wenn möglich - Venezuela = niedrigerer Ölpreis. Weg von 22 - 28 $/Barrell der OPEC oder 20 - 25 $ Russlands: Teure Ölförderungen fallen dann aus dem Markt, billigere substituieren sie. Das zentralasiatische Öl, über Afghanistan nach Pakistan und zur nordindischen Industrie gepumpt, verbilligt die südostasiatische Ölversorgung gegenüber Golföl. Im ölarmen Europa werden ölersetzende Energieträger unrentabel, die EU-Ölabhängigkeit erhärtet, der Einfluss der USA - zusätzlich zur NATO - gestärkt.
Frankreich und Russland sehen ihre Förderlizenzen im Irak gefährdet. Die EU ist Nettoimporteur von Öl und Gas. Russland hat was die EU braucht und ist an keinem Erdölpreisverfall interessiert. Die Erholung der russischen Wirtschaft hängt ja wesentlich von der Höhe des Öl- und Gaspreises ab. Die Achse Frankreich - Deutschland - Russland entsprach daher in diesem Fall der Interessenslage dieser Staaten.
Ihre Haltung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war auch davon bestimmt, die Bäume der USA nicht in den Himmel wachsen zu lassen. Ihre Besinnung auf das Gewaltanwendungsmonopol der UNO erfrischt. Sie vermag aber nicht vergessen zu machen, dass man z.B. ohne UN-Mandat mit in den Krieg gegen Serbien gezogen ist. Die nachträgliche humanitäre Rechtfertigung hat jenen toten Serben, die - wie in Novy Sad - anderen kein Haar gekrümmt hatten, nichts geholfen. Karadzic ist noch immer frei. Um Milosevic ist es still geworden. Das Kosovoproblem bleibt ungelöst.
Die wechselnde Begründung der US Administration, weshalb sie den Irakkrieg wollte, ist verständlich. Die Angst vor Saddams Massenvernichtungswaffen war nach den Berichten der Kontrollore der UN politisch nicht mehr nutzbar. Die populäre Parole, den Diktator zu stürzen, sollte den Krieg politisch-moralisch rechtfertigen - und wo gehobelt werden muss, fliegen auch Späne. Die wären ja auch mit Sicherheitsratsmandat geflogen. Wer kann es dann verantworten, dass eine so grausame Diktatur weiterexistiert? Die schlappen Europäer schlagen ja nur deswegen nicht zu, weil sie nicht können.
Da ist schon was Wahres dran.
Haben die Europäer mit Petersberg eine konkrete Petersberger Aufgabe definiert? Das Europakorps soll heuer stehen - auf dem Papier. Experten schätzen, dass es erst 2015 voll einsatzfähig ist. Der jetzige Balkaneinsatz ist ein Anfang.
Aber wozu auch die Eile, wenn es keinen konkreten Grund gibt? Oder soll EU-Europa eine neue Strategie zur eigenständigen präventiven Rohstoffsicherung entwickeln? Was passiert, wenn die USA geographisch dasselbe Gebiet kontrollieren will? Der Nachkriegsirak wird es zeigen.
Bevor Europa sich auf etwas Neues zubewegt, muss es sich über die Konsequenzen klar sein. Die beginnen nicht im militärischen, sondern im politischen Bereich. Ab wann ist das Verhältnis zur USA überdehnt, das ganze internationale Rechts- und Organisationsgebäude - UNO, IMF, Weltbank, WTO etc. - gefährdet? Alternativ dazu:
Wie hoch ist der Verlust an Glaubwürdigkeit Europas bei arabischen und Drittweltstaaten, wenn es dieselben Methoden zur Ressourcenabsicherung anwendet wie die USA- nur mit militärtechnologisch rückständigen Mitteln und daher höherem "Kollateralschaden" verbunden? Kann es überhaupt militärorganisatorisch eine auf NATO-Logistik aufbauende, eigenständig handelnde EU-Streitmacht geben, wenn das nicht im Interesse der USA liegt? Und der Aufbau einer eigenen EU Logistik? Für die vielen - vor allem neuen - europäischen NATO-Mitglieder wäre das gleichbedeutend mit Sprengung der NATO. Das werden sie aus ihrem sicherheitspolitischen Selbstverständnis heraus in absehbarer Zeit nicht zulassen. Dazu kommt ein minimal zehnjähriger waffentechnologischer Rückstand.
Der Aufbau einer out of area einsetzbaren unabhängigen europäischen Streitmacht wird aber auch von den USA sicher nicht gewünscht und daher auch von deren Verbündeten, vor allem Großbritannien, verhindert werden.
Wenn es somit keine Chance gibt, den Hegemon stellenweise zu substituieren, wozu dann eine out of area einsetzbare Europaarmee, wozu den Makel des Neoimperialismus auf sich nehmen?
Auch die erweiterte EU ist Rohstoff- und Rohölimporteur. Kann man der EU ohne Interventionstruppe nicht z.B. den Ölhahn abdrehen? Theoretisch ja. Aber praktisch wollen die Produzenten verkaufen, können auf einen so großen Abnehmer nicht verzichten. Die USA sind sowohl an den erdölfördernden und -verarbeitenden Gesellschaften als auch an jenen Wirtschaftszweigen in Europa beteiligt, die dieses Produkt verbrauchen. Der Gott, der Erdöl sprudeln lässt, der wollte keine Knechte sondern Abnehmer.
Wenn Europa keine Mittel hat oder in absehbarer Zeit aufbauen kann, um mit Gewalt Rohstoffsicherung zu betreiben, ist auch für jene, die den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ansehen, die politisch-vertragliche Absicherung das einzig Zielführende. Das heißt: enge Zusammenarbeit mit Russland und den arabischen Ölstaaten. Das kann zu Konflikten mit den USA führen, wenn diese ihre forsche Politik fortsetzen und z.B. arabische, staatliche Ölgesellschaften privatisieren wollen. Andererseits ist aber die USA in Europa auch Teilhaber an energieverbrauchender Industrie und an deren gesicherter Versorgung interessiert. Die Araber wieder könnten mehr Nackensteife zeigen.
Es wird den amerikanischen Rechtskonservativen sicher nicht gelingen, EU-Staaten als undemokratisch oder gar als Bestandteil der Achse des Bösen zu bezeichnen und sie aus diesem Titel zu bekämpfen. Dafür gäbe es sicher keine Mehrheit in den USA. Eine Politik ohne militärische Drohungen oder gar Gewaltanwendung ist daher für Europa durchaus machbar. Es muss sich nur trauen und es muss das Instrument seiner gemeinsamen Handelspolitik zu einer gemeinsamen Wirtschaftsstrategie weiterentwickeln. Daraus müsste sich früher oder später eine gemeinsame Außenpolitik und Verteidigungspolitik entwickeln. Dazu mag der EU-Konvent beitragen, entscheiden wird die Macht des Faktischen.
Natürlich fürchtet sich der tschechische Staatspräsident, ein neuer Hacha oder Husak zu werden. Wer die volle Freiheit erst vor kurzem erhalten hat, will sie nicht teilen, ist aber trotzdem für die EU - zumindest weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Bald aber werden die neuen EU-Mitglieder lernen, dass ihre Interessen auch auf anderen als handelspolitischen Feldern in Europa liegen. Dann wird die verständliche Angst vor dem Osten geringer, die Kritikfähigkeit gegenüber überzogener Dominanz der USA größer, das Gesamtverhältnis balancierter werden.
"Die normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern" meint Jürgen Habermas, der den Irakkrieg als Revolution der Weltordnung definiert. Sie ist nicht mehr Garantiemacht sondern Gegenmacht der von ihr geschaffenen UN-Weltordnung geworden. Diese Revolution ist jedoch eine Konterrevolution. Sie setzt die revolutionäre Errungenschaft außer Kraft, Präventivkriege ohne Sicherheitsratsmandat nicht mehr führen zu dürfen.
Helmuth Schmidt hat es kürzlich in einem Maischberger-Interview offen gesagt: die Interessen der USA und Europas werden sich stärker unterscheiden als bisher. Sie müssen untereinander - wie bisher - demokratisch und nicht auf dem Rücken Dritter sondern in der Völkergemeinschaft der UN ausgetragen werden.
Bundesminister a. D. Erwin Lanc ist Präsident des International Institute for Peace.