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Europas Warten auf Deutschlands Entscheidung

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Experten rechnen nicht mit radikalen Änderungen in der EU-Politik Berlins.


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Brüssel. Offiziell ist die "Kein Kommentar"-Strategie aufrecht. Wenn es um nationale Wahlen geht, hält sich die EU-Kommission mit Stellungnahmen zurück, verweist auf länderspezifische Entscheidungen und betont höchstens die demokratische Bedeutung eines Bürgervotums. Dennoch kann dieses Mal kaum jemand, von den Beamten der Behörde bis hin zu den Kommissaren, von rein innenpolitischen Vorgängen sprechen. Der Ausgang dieses Urnengangs ist nämlich für die gesamte EU relevant - und etliche ihrer Vertreter in Brüssel aber auch in den meisten anderen Hauptstädten werden den Wahlsonntag mitverfolgen.

Die deutsche Bundestagswahl stößt auf so großes europäisches Interesse wie es selten bei einem Votum der Fall ist. Und sie scheint das europäische Geschehen zu lähmen: Weiter reichende Entscheidungen für die Zukunft der Gemeinschaft werden erst nach dem Votum in der größten Volkswirtschaft der EU erwartet.

Doch wer auch immer in den kommenden Wochen die Regierung in Berlin bilden wird - mit revolutionären Änderungen in der EU-Politik Deutschlands rechnen die Beobachter in Brüssel nicht. Selbst eine rot-grüne Koalition würde keinen radikalen Kurswechsel herbeiführen, meint etwa Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik EPC (European Policy Center) gegenüber der "Wiener Zeitung". "Würde solch eine Koalition vom Sparkurs abgehen? Würde sie rasch Eurobonds einführen?", fragt er und gibt auch gleich zweimal dieselbe Antwort: "Nein."

So wird Deutschland weiterhin die Balance suchen zwischen dem Pochen auf Haushaltsdisziplin und finanzieller Solidarität mit schwächeren Mitgliedern. Das werden nicht zuletzt Staaten wie Griechenland zu spüren bekommen, das möglicherweise ein weiteres Hilfspaket der internationalen Geldgeber brauchen wird. Bestimmte Bedingungen wird Athen in jedem Fall erfüllen müssen. Umgekehrt wird auch der nächsten Regierung in Berlin daran gelegen sein, den Zusammenhalt der Eurozone zu sichern - so wie es der jetzigen gelungen ist, im Bundestag die nötige Mehrheit für die bisherige Unterstützung Griechenlands zu erlangen.

Wer wird Finanzminister?

Mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise und den Lehren, die die EU daraus ziehen will, wird sich daher auch die künftige Koalition beschäftigen müssen. Aus diesem Grund richtet sich Europas Aufmerksamkeit nicht nur darauf, ob Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt, sondern auch darauf, wer Finanzminister wird. Dieser wird nämlich im Kreis seiner Amtskollegen aus der Eurozone sowie der gesamten EU die nötigen Reformen vorantreiben - oder dabei eben große Vorsicht walten lassen.

Von der Führung im Kanzleramt sowie im Finanzressort in Berlin wird es also wesentlich abhängen, wie stark die Vertiefung Europas ausfällt. Klarer als bisher werde die Regierung sagen müssen, ob sie mehr europäische Integration wünsche oder eine Gemeinschaft, in der die Staaten vor allem ihre nationalen Interessen durchsetzen möchten, findet Judy Dempsey von Carnegie Europe. Diese Entscheidung werde "enorme Auswirkungen auf die Rolle Europas als wirtschaftlicher aber auch politischer Partner" haben, schreibt sie in einem Arbeitspapier. Welche Union sich Merkel selbst wünsche, habe die Kanzlerin jedenfalls in acht Jahren nicht deutlich genug formuliert: Eine große Vision sei ausgeblieben.