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Europas weggeschobene Probleme

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Griechenland erzielt nur mit Tricks Überschuss im Primärhaushalt.


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Berlin/Athen/Nikosia. Viel mehr Öl kann man nicht ins Feuer gießen: Die Deutsche Bundesbank geht laut "Spiegel" davon aus, dass der Euro-Notfallpatient Griechenland 2014 ein neues Hilfspaket in Milliardenhöhe benötigt. Nein, kalmiert die deutsche Regierung. Für die Opposition ist die Meldung nur sieben Wochen vor der Bundestagswahl ein gefundenes Fressen, um den Austeritätskurs von Angela Merkel zu attackieren. Wenig hatten Sozialdemokraten und Grüne bisher der Kanzlerin entgegenzusetzen, trotz NSA-Abhöraffäre verlor Merkel nichts an Glanz. Ihre blendenden Umfragewerte - zwei Drittel der Deutschen sind mit Merkels Arbeit zufrieden - verdankt die 59-Jährige der geschickten Vermarktung ihrer Sparpolitik. Erweist sich diese als Irrweg, ist selbst die unantastbar wirkende Merkel verwundbar.

Während die CDU-Politikerin um ihre Wiederwahl kämpft, blutet Griechenland aus: Im zweiten Quartal 2013 brach die Hellas-Ökonomie um 4,6 Prozent ein - was Analysten als Erfolg feierten, da sie sogar ein Minus von fünf Prozent prognostizierten. Auch der Überschuss im griechischen Primärhaushalt ist nur auf den ersten Blick positiv zu werten. Zwar erzielte Hellas in den ersten sieben Monaten des Jahres ein Haushaltsplus von 2,6 Milliarden Euro. Dabei sind aber nicht nur die Aufwendungen für den Schuldendienst ausgeklammert. Unberücksichtigt bleiben auch die Etats der landesweit 325 Städte sowie der Sozialversicherungen.

Insgesamt bleibt es bei einem Minus, wenn auch das Athener Staatsdefizit auf 1,9 Milliarden Euro gesenkt wurde. Denn um scheinbar fulminante 3,3 Milliarden Euro konnte die Regierung aus Konservativen und Sozialisten die Ausgaben kürzen, sie betrugen 32,71 Milliarden Euro. Gravierender Schönheitsfehler: Die stark reduzierten Staatsausgaben resultieren maßgeblich aus dem drastischen Rückgang bei den öffentlichen Investitionen. Überdies hat der hellenische Fiskus faktisch einen teilweisen Zahlungsstopp im Inland verhängt. Der Staat begleicht seine Rechnungen später, bezahlt weniger oder gar nicht.

Evangelos Dones ist einer von tausenden Griechen, bei denen der Staat in der Kreide steht. Dem Reifenhändler aus dem 2000-Seelen-Dorf Nea Zichni im Norden, sieben Autostunden von Athen entfernt, schulde der griechische Staat rund 8000 Euro, erzählt Dones. Bei dem offenen Betrag handle es sich um die fällige Rückerstattung von Mehrwertsteuer. "Die Leute sparen an allen Ecken und Enden. Neue Reifen kauft sich jemand nur noch, wenn ihm einer platzt", sagt Dones. Die unweigerliche Folge: Nun könne er nicht mehr die fälligen Sozialbeiträge an die Freiberuflerkasse OAEE in der Höhe von knapp eintausend Euro alle zwei Monate entrichten. Jüngsten Erhebungen zufolge schulden Firmen und sonstige Beitragszahler den griechischen Versicherungskassen mittlerweile mehr als zwanzig Milliarden Euro. Besserung ist nicht in Sicht.

Gleichwohl lautet das Motto in Athen: Heuer unbedingt der Geldgeber-Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank einen primären Haushaltsüberschuss präsentieren, um baldmöglichst eine weitere Reduzierung der Staatsschulden zu vereinbaren - ob mit oder ohne einen neuerlichen Schuldenschnitt.

Troika als Komplizin

Eine "kreative Buchführung" auf Griechisch war bereits vor dem Euro-Beitritt 2002 zu bestaunen. Hellas‘ Weg schnurstracks in den Ruin konnte dies nicht verhindern. Diesmal können aber Griechenlands Partner in Brüssel, Frankfurt und Washington nicht behaupten, sie würden von Athen an der Nase herumgeführt.

In Zypern verdichten sich vier Monate nach dem Zwangsabgaben-Schock bei Spareinlagen die Anzeichen darauf, dass die Wirtschaft heuer weitaus stärker als von der Kreditgeber-Troika erwartet schrumpfen wird; von bis zu 16,7 Prozent geht die griechische Eurobank aus. Die Troika rechnet unbeirrt mit einem Minus von lediglich 8,7 Prozent der zypriotischen Wirtschaftsleistung in diesem Jahr. Der Rückgang hat sich nach dem Beschluss der Eurogruppe, wonach das zweitgrößte Geldinstitut, die Laiki Bank, erst aufzuspalten und dann abzuwickeln sowie die Spareinlagen von mehr als 100.000 Euro bei der Bank of Cyprus mit einer Zwangsabgabe zu belegen ist, enorm beschleunigt. Aber es gibt auch erste Lichtblicke: Zypern konnte sein Staatsdefizit im laufenden Jahr drastisch senken. Von Jänner bis Mai betrug es nur noch 80,73 Millionen Euro. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum waren es noch 357,9 Millionen Euro gewesen.

Lichtblicke gibt es auch bei den spanischen Banken. Sie befeuerten einst die Immobilienblase, bis zu 100 Milliarden Euro wird ihre Rettung kosten. Nun vermelden gleich drei Kriseninstitute schwarze Zahlen für das erste Halbjahr 2013 - Sabadell, Bankinter und die einst mit 20 Milliarden gerettete Bankia. Derzeit scheint es, dass Spanien keine weiteren Finanzhilfen benötigt.

Mit einem drastischen Sparprogramm versucht der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy die Schulden zu senken. 6,7 Prozent des BIP beträgt das Haushaltsdefizit heuer laut Prognose des IWF. Ein Wachstumsmotor fehlt dem Land aber. Um 27 Prozent lag die Industrieproduktion im vergangenen Jahr unter dem Wert von 2007. Der Ökonom Gabriel Flores Sánchez sagt, dass selbst durch die - derzeit verfolgte - Arbeitskostensenkung die Krise nicht gelöst werden kann. Denn die Stundenlöhne in der spanischen Industrie betragen bereits jetzt nur zwei Drittel jener in Deutschland.

Für Premier Rajoy steht derzeit aber das eigene politische Überleben im Vordergrund. Er soll, wie andere hochrangige spanische Konservative, in eine Spendenaffäre verwickelt sein.