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In Zukunft machen die Städte Europa. Auf sie kommt es an, wenn es um die Lösung zahlreicher Probleme geht.
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Städte sind die Staaten von morgen. Global wohnen bald 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten und urbanen Ballungsgebieten und machen diese zu den mächtigsten Orten und Problemlösern einer globalisierten Welt. Wellington Webb, früherer Bürgermeister von Denver, hat schon recht, wenn er feststellt: "Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Weltreiche, das 20. das Zeitalter der Nationalstaaten, und das 21. wird das Zeitalter der Städte sein."
Die Städte der Welt vernetzen sich und werden zum neuen globalen Player. Ihre neue Macht entscheidet über die zentralen Herausforderungen unserer Zeit: Klima, Integration, Sicherheit, Freiheit. Und auch über die Zukunft Europas. Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine richtet sich vor allem gegen die Städte. Die jüngsten Bilder aus Butscha bei Kiew und anderen Städten in der Ukraine belegen dies auf brutale Art und Weise. Der Historiker Karl Schlögel spricht von einem "Urbizid". Der Krieg gegen die ukrainischen Städte und ihre Bürgerinnen und Bürger gilt der europäischen Idee der Stadt.
"Wenn Bürgermeister die Welt regierten, wären viele globale Probleme längst gelöst", schrieb der im Vorjahr verstorbene Benjamin Barber, US-Professor für Zivilgesellschaft, in seinem letzten Buch. Städte, so Barber, reagieren schneller, konkreter und bürgernäher auf Krisen und Herausforderungen wie Klimawandel, Integration, Sicherheit oder Mobilität. Barber gründete das "Global Parliament of Mayors", ein globales Parlament von Bürgermeistern. Mehr als 60 Städte und Netzwerke sind dort vertreten. Aktueller Vorsitzender ist der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz.
Städte führen keine Kriege untereinander
Zentraler Auslöser dieser Weltbürgermeister war die gemeinsame Erkenntnis: Stadtpolitik ist effektiver und zukunftsorientierter als nationale Politik. Städte sind motivierter, globale Probleme zu lösen, weil sie schneller ihr Opfer werden können. So zum Beispiel bei der Bekämpfung des Klimawandels. Schließlich entstehen ganze 80 Prozent der CO2-Emissionen in den Städten. Und 90 Prozent der Städte weltweit liegen am Meer, an einem See oder an einem Fluss. Für immer mehr Städte ist die schlechte Luftqualität das größte Umwelt- und Gesundheitsrisiko. Die Bürgermeister von London, Paris, Los Angeles, Kopenhagen, Barcelona, Mexico-Stadt und Mailand haben sich daher dazu verpflichtet, ab 2025 nur noch Elektrobusse zu kaufen. Bis 2030 sollen ihre Städte weitgehend emissionsfrei werden.
Was für den Klimawandel gilt, gilt auch für den Krieg: Städte führen heute keine Kriege mehr untereinander. Sie können Kriege weder erklären noch beenden, weil sie nicht souverän sind. Ihre "Abwesenheit von Souveränität" hat Barber als den zentralen Grund für ihre Problemlösungsfähigkeit beschrieben. Und: "Ihr Mangel an formeller Macht eröffnet ihnen Möglichkeiten des Netzwerkens." Auf diese Möglichkeiten wird es in Zukunft mehr denn je ankommen.
Wir brauchen mehr Städtepartnerschaften
In den 27 Mitgliedsländern der EU gibt es fast 100.000 Gemeinden. Etwa 20.000 von ihnen, also jede fünfte, hat eine Städtepartnerschaft. Die Mehrheit wurde nach 1945 zwischen Deutschland, Frankreich, England und Polen gegründet. Nach 1990 ist es still um sie geworden. Das vermeintliche "Ende der Geschichte" führte zu einer Renaissance des Nationalen. Um die neue autoritäre Versuchung weltweit zu bekämpfen, wird es wieder auf die Städte Europas ankommen. Freiheit und Frieden leben von emotionaler Nähe, die wiederum Solidarität erzeugt.
In Europas Städten wird die Zukunft Europas entschieden, das Regionale und das Globale verschmelzen zum Glokalen. Die Städte und ihre Bürgermeister sind es, die die Idee der Weltoffenheit vor dem Neo-Nationalismus retten. Die neue "urbane Demokratie" hat ihre Wurzeln in der alten antiken Demokratie und setzt wie diese auf Demokratie von unten. Die Zukunftsthemen Klimaschutz, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Integration und Friedenssicherung können nicht allein durch zentralstaatliches Handeln gelöst werden.
Die Keimzellen der Demokratie sind die Kommunen. Sollte es zu einem echten Frieden in der Ukraine kommen, braucht es für den Wiederaufbau des Landes auch die Unterstützung der Städte. Ein breites Netzwerk an neuen Städtepartnerschaften kann den Kommunen in der Ukraine schnelle und direkte Hilfe bringen und die Menschen zusammenführen. Aktuell gibt es zum Beispiel zwischen Deutschland und der Ukraine 36 Städtepartnerschaften. Dass heute ukrainische Fahnen an deutschen Rathäusern hängen, ist ein schönes Zeichen der Solidarität. Was der Ukraine mehr helfen würde, wäre die europäische Flagge auf den eigenen Rathäusern.
Wofür Staaten Jahre brauchen, können Städte schneller schaffen. Die Diplomatie der Zukunft ist kommunal. Während die Völker der demokratischen Welt in diesen Wochen vor allem auf Kiew blicken, muss Europa die Zeit nach dem Krieg denken. Europa, zeig Flagge, schau auf deine Städte und lass sie machen!