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Rechtsliberale und Sozialdemokraten müssen gemeinsam Regierung bilden.
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Amsterdam. Die Spitzenkandidaten der großen Parteien mussten sich bis nachts halb drei gedulden, bevor die endgültigen Ergebnisse bekanntgegeben wurden. Danach griff der Sozialdemokrat Diederik Samsom zum Telefon, um dem Rechtsliberalen Mark Rutte zu seinem Wahlsieg zu gratulieren. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in den Niederlanden können die Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) und die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PvdA) spektakuläre Zuwächse von 10 beziehungsweise 9 Sitzen verbuchen. Die VVD erhält 41 von 150 Mandaten, die PvdA 39. Rutte erklärte, mit dem Wahlergebnis "unglaublich zufrieden und froh" zu sein. Auch für Samson stellt das Wahlergebnis einen großen Erfolg dar. "Das Ruder muss und kann herumgerissen werden", verkündete er vor seinen jubelnden Anhängern. Die Zersplitterung des Parteienspektrums, die sich in den letzten Jahren so deutlich gezeigt hatte, findet sich in diesem Wahlergebnis nicht wieder. Durch den enormen Zuwachs an Mandaten bilden die Rechtsliberalen und Sozialdemokraten zwei Machtblöcke, die übrigen Parteien liegen mit Abstand dahinter.
Die Niederländer haben sich mit dieser Wahl für einen pro-europäischen Kurs ausgesprochen. EU-Kommissarin Neelie Kroes (VVD) begrüßte das Ergebnis als "einen Segen für die Niederlande und für Europa". Die Tageszeitung "NRC Handelsblad" machte hingegen den großen Verlierer dieser Wahl aus: die Euroskepsis. Auch die weitestgehend positiven Reaktionen der ausländischen Presse wurden in den niederländischen Medien aufmerksam registriert.
Klarer Verlierer dieser Wahl ist die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV). Parteichef Geert Wilders muss sich nun mit 15 Mandaten zufrieden geben und büßt damit 9 Sitze ein. Wilders selbst erklärt den Verlust mit dem Zweikampf zwischen VVD und PvdA. Doch das Ergebnis kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der radikal anti-europäische Kurs der Partei den Wähler nicht überzeugt hat. Auch die Sozialistische Partei (SP) sieht die Ursache für den unerwartet niedrigen Stand von 15 Sitzen im strategischen Stimmverhalten der Wähler. Nachdem sich in den Fernseh-Debatten abgezeichnet hatte, dass nicht der Sozialist Emile Roemer sondern Diederik Samsom der Herausforderer des geschäftsführenden Premiers Rutte wird, liefen die Wähler in Scharen zur Arbeiterpartei über. Große Verluste musste auch die Grüne Partei GroenLinks, die von 10 auf 3 Mandate zurückgefallen ist, hinnehmen. Vor allem ein Machtstreit innerhalb der Partei, der sich im Mai dieses Jahr abgespielt hatte, dürfte den Grünen viele Wähler gekostet haben. Der Christdemokratische Appell (CDA) verlor wie erwartet 8 Mandate und zieht nun mit 13 Sitzen in das Parlament ein.
Wahlsieger Mark Rutte will sich an Spekulationen zur Koalitionsbildung bisher nicht beteiligen und kündigte eine Funkstille zu diesem Thema an. Doch das Wahlergebnis lässt wenige Varianten offen. VVD und PvdA müssen wohl gemeinsam eine Regierung formen, mit 80 Mandaten verfügen sie über eine Mehrheit im Parlament. Möglicherweise könnte noch eine dritte oder vierte Partei in die Verhandlungen einbezogen werden, um eine Mehrheit auch in der Ersten Parlamentskammer, die dem österreichischen Bundesrat entspricht, sicherzustellen. Die wahrscheinlichsten Anwärter darauf wären die linksliberale Partei D66, die zwei Sitze gewonnen hat und nun mit 12 Mandaten im Parlament sitzt und der CDA. Beide Parteien befinden sich im Spektrum zwischen den Sozialdemokraten und den Rechtsliberalen und könnten somit für mehr Stabilität innerhalb der Koalition sorgen.
Doch auch wenn das eindeutige Wahlergebnis eine Koalition von Sozialdemokraten und Rechtsliberalen nahelegt, dürften sich die Verhandlungen alles andere als einfach gestalten. Beide Parteien fühlen sich in ihrem Kurs durch den Zuwachs an Stimmen bestätigt und werden ihre zentralen Standpunkte auch in einem Koalitionsvertrag durchsetzen wollen. Die inhaltliche Unterschiede zwischen den Parteien sind erheblich. Unter der Führung von Diederik Samsom ist die Arbeiterpartei ein Stück nach links gerückt, die VVD verfügt seit einigen Jahren über einen starken rechten Flügel. Vor allem in Fragen der Wirtschaft und des Gesundheitswesens liegen die Parteien weit auseinander. Zwar wollen es sich beide zur Aufgabe machen, das Haushaltsdefizit bis 2017 zu beseitigen, doch darüber, wie das geschehen solle, herrscht Uneinigkeit. Auch die nötige Reform des stark regulierten niederländischen Häusermarktes dürfte für große Diskussionen sorgen. Während Rutte für Europa vor allem einen strengen Sparkurs vor Augen hat, will Samsom in der europäischen Finanzpolitik soziale Aspekte stärker berücksichtigen.
Am 20. September kommt das Parlament erstmalig zusammen, um zu beraten, wer die weiteren Verhandlungen als Vermittler begleiten soll. Erst danach können die ersten Schritte zur Bildung einer Koalition angegangen werden.