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Eurozone ist für Finanzmarktsteuer

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Nikolas Sarkozy sieht sie auch als G20-Schwerpunkt. | EU-Kommission bewertet Alleingänge skeptisch. | Brüssel/Berlin/Wien. Diskutiert wird über eine Finanztransaktionssteuer seit vielen Jahren. Durch ihre Unterstützungserklärung haben die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Kollege Werner Faymann der Debatte neuen Schwung verliehen. Aufhorchen ließ Merkel damit, dass sie sich auch ein Vorangehen der Eurozone vorstellen könne.


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In Österreich wirbt der SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder schon länger für eine "Koalition der Willigen": Wenn Deutschland, Frankreich und Österreich die Führung übernähmen, würden andere Länder folgen, meinte er. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat die globale Einführung einer Finanzmarktsteuer zu einem Schwerpunkt seines Vorsitzes der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen (G20) gemacht. Weil es keine Einigkeit gebe, könne er sich auch das Vorangehen einiger Staaten vorstellen, hatte er im Jänner erklärt.

Die EU-Kommission, welche das Vorschlagsrecht hätte, hat sich bisher allerdings skeptisch gezeigt. Sie arbeitet gerade an einer umfassenden Folgenabschätzung für verschiedene Modelle der Besteuerung des Finanzsektors. Die Ergebnisse werden für Juni erwartet.

Nach einer ersten Analyse hatte sich Steuerkommissar Algirdas Semeta für eine Finanztransaktionssteuer auf globaler Ebene, aber gegen einen EU-Alleingang ausgesprochen. Die Steuerlast für den Finanzsektor sei zwar zu gering und dieser müsse einen fairen Beitrag zu den öffentlichen Haushalten leisten. Doch dürfe dadurch nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Union beschädigt werden. Es bestehe die Gefahr, dass die großen Banken ihre Umsätze an Finanzplätze außerhalb der EU verlagern. Großbritannien sieht das ebenso: Wegen seines großen Finanzplatzes in der Londoner City erteilt es einer EU-Regelung konsequent eine Absage.

USA, China, Brasilien und Indien sind dagegen

Dass eine globale Finanztransaktionssteuer sinnvoll wäre, darüber sind sich aber alle EU-Länder einig. Neue Dynamik ist in die Debatte durch die Finanzkrise gekommen. Bisher haben sich aber die USA, Kanada, China, Indien und Brasilien mit unterschiedlichen Argumenten quergelegt. Die einen fürchten einen Wettbewerbsnachteil für ihren Finanzsektor. Die Schwellenländer sehen wiederum nicht ein, warum sie ihre Banken für eine Krise zur Kasse bitten sollen, die sie nicht ausgelöst haben.

Wegen der Opposition auf G20-Ebene haben mehrere europäische Politiker die EU-Lösung propagiert. Darunter vor allen Faymann und Finanzminister Josef Pröll sowie der Luxemburger Regierungs- und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Sogar Budgetkommissar Janusz Lewandowski hatte trotz der Bedenken seines Kollegen Semeta im Herbst eine Finanztransaktionssteuer als Einnahmequelle für den EU-Haushalts ins Spiel gebracht. Ein im österreichischen Finanzministerium ausgearbeitetes Modell würde für Europa mindestens 100 Milliarden Euro pro Jahr bringen.

Die neuen deutsch-österreichischen Bestrebungen geben es jetzt offenbar noch ein Nummer kleiner: Statt in der EU soll die Finanzmarktsteuer nur noch für die Eurozone kommen. Das dürfte die Skepsis in der Kommission und auch in der Europäischen Zentralbank freilich kaum dämpfen. Gelten doch die Argumente der drohenden Abwanderung der Umsätze bei einem noch kleineren Geltungsbereich der neuen Abgabe noch mehr. Die Kommission setzt einige Hoffnung in die Franzosen, internationale Partner an Bord zu bekommen. Steuerkommissar Semeta hat nach einem USA-Besuch unlängst Gesprächsbereitschaft der Amerikaner verkündet. Diese warteten schon mit großem Interesse auf die Folgeabschätzung seiner Experten, hieß es.

Für eine EU-Lösung empfiehlt Semeta inzwischen die so genannte Finanzaktivitätssteuer, die bei den Gewinnen der Banken und Boni der Banker ansetzen soll. Die Logik dahinter: Es ist schwieriger, ganze Unternehmen aus der Union zu verlagern als bloß den Handelsplatz zu wechseln.

Währungsfonds hält sich der Debatte heraus

Der Internationale Währungsfonds tritt zwar für eine Lastenteilung bei der Sanierung der Staatsbudgets ein. Auch der Finanzsektor müsse besteuert werden, weil er nicht der Mehrwertsteuer unterliege, sagte Mark Allen, IWF-Vertreter für Mittel- und Osteuropa: "Von einer Besteuerung des Finanzsektors würden alle profitieren." Bei der Finanztransaktionssteuer, wie sie etwa Österreich, Deutschland und Frankreich fordern, hat der IWF aber Bedenken und hält sich aus der Debatte heraus.

Vehement für eine Finanztransaktionssteuer tritt die Spitzengewerkschafterin Sharan Burrow ein. Dass ein Sektor der Wirtschaft gar nicht besteuert werde sei eigentlich "kriminell", so Burrow, Generalsekretärin der Internationalen Gewerkschaftskonferenz.

Wissen

(hes) Was EU-Politiker meinen, wenn sie über eine Finanztransaktionssteuer sprechen, ist alles andere als eindeutig. Als Urheber der Idee, Finanzgeschäfte zu besteuern, gilt der britische Ökonom John Maynard Keynes, der dies in seinem Hauptwert 1936 erwähnte. Als Vater im engeren Sinne gilt der US-Ökonom James Tobin, der das Konzept 1972 ausformulierte. Er wollte mit der "Tobin-Steuer" nur Devisengeschäfte, also Währungshandel, eindämmen.

Seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise gewinnt die Idee erneut an Popularität. Jetzt wird darunter aber meist eine Steuer auf möglichst alle Transaktionen mit Finanzwerten verstanden, also Aktien, Devisen, aber auch Finanz- und Rohstoffderivate (Finanzprodukte, deren Wert von anderen Papieren oder Produkten abgeleitet ist). Auch die Höhe ist strittig: Meist wird an einheitliche Sätze gedacht; in Größenordnungen von 0,01 bis 0,1 Prozent des Basiswerts.

Befürworter glauben, dass durch die Steuer kurzfristige Spekulation gebremst und einer Überhitzung der Märkte vorgebeugt werde. Die Steuererträge könnten zur Budgetsanierung oder für nachhaltige Wirtschaftspolitik eingesetzt werden.

Kritiker geben zu bedenken, dass bei einer Einführung in einzelnen Weltregionen die großen Händler sofort ihre Transaktionen dorthin verlagern, wo sie keine Steuer zahlen müssen. Zudem würde viele der Transaktionen von Unternehmen der Realwirtschaft genützt, die sich gegen Kursschwankungen absichern ("hedgen"). Werde Geld aus den Märkten abgezogen, würden sich Kursschwankungen noch stärker auswirken.

Siehe auchEU-Pakt drückt Löhne und beschneidet Sozialsysteme