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Nach Kanzlerin Merkel spricht sich Vizepräsident Biden für Abkommen aus.
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München. "Wir sollten eine transatlantische Partnerschaft verfolgen, und wenn wir das tun, dann sollten wir das mit einer Tankfüllung schaffen und langwierige Verhandlungen vermeiden", sagte US-Vizepräsident Joe Biden bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende. Nach jahrzehntelangen Handelsstreitigkeiten und Zwist über US-Rindfleischimporte sowie Importbeschränkungen für französischen Roquefort-Käse wollen plötzlich alle ein transatlantisches Handelsabkommen.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, berichtete das "Handelsblatt" am Wochenende, sei beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit den Eliten der wichtigsten internationalen Konzerne in einem Besprechungsraum des Kongresszentrums zusammengesessen und habe dort gesagt: "Europa und die Vereinigten Staaten brauchen endlich ein transatlantisches Handelsabkommen."
Nach der Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama sehe sie eine "große Chance", ein solches Freihandelsabkommen abzuschließen. Heißt das, die Kanzlerin und das Weiße Haus haben die Hoffnung auf den Abschluss der Welthandelsrunde ("Doha-Round") aufgegeben? Offenbar. Die EU hatte lange Zeit auf die Doha-Runde gesetzt, Brüssel trieb aber zuletzt bilaterale Abschlüsse voran.
Die Idee einer transatlantischen Freihandelszone mit dem Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken ist nicht wirklich neu, scheiterte bisher aber stets an Details. Genmanipulierter Mais stößt in Europa auf wenig Gegenliebe, ebenso wie die Tatsache, dass in Los Angeles Parma-Schinken verkauft werden darf, der von Schweinen stammt, die mehr als 8500 Kilometer von der italienischen Provinz Parma entfernt, nämlich in Iowa oder Illinois, gemästet wurden.
Aber die Bremser eines Abkommens waren bisher eher auf der Seite der USA zu suchen. Das stets gut informierte britische Wirtschaftsmagazin "Economist" berichtet in der jüngsten Ausgabe, die Veröffentlichung eines Expertenberichts, in dem angeblich die Aufnahme von Verhandlungen empfohlen wird, solle offenbar verzögert werden. Will Obama den Europäern bereits vor Beginn der Gespräche Konzessionen abringen? Ist er vielleicht an einem transpazifischen Abkommen mehr interessiert? Oder wartet er bloß auf den richtigen Moment, vielleicht bei seiner "State of the Union"-Rede am 12. Februar?
Die USA und die EU sind die größten und wichtigsten Handelspartner der Welt: Die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts wird in den USA und in der EU erwirtschaftet, gemeinsam sind sie für ein Drittel des Welthandels verantwortlich, und sie sind die größten Investoren in der jeweils anderen Volkswirtschaft.
Europäer und Amerikaner sind verzweifelt auf der Suche nach einem Weg, ihre stotternden Wirtschaftsmotoren wieder zum Laufen zu bringen - vielleicht mit einem Wirtschaftsabkommen?
"Es wäre gut für das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen - und es wäre gut für beide Seiten des Atlantiks. Es würde das weltweite Handelssystem stärken", argumentierte der US-Vizepräsident. Zudem - und das sei wesentlich - könne ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU ein neues strategisches Schlüsselelement der transatlantischen Allianz sein.
Wissen: Welthandel
Eigentlich sind sich die 153 Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation (WTO) einig: Der langgehegte Traum von einer weiteren umfassenden Liberalisierung des Welthandels ist geplatzt. Dennoch können sie sich einfach nicht dazu durchringen, die Doha-Runde, die bereits ins zwölfte Jahr geht, endgültig zu begraben. WTO-Generalsekretär Pascal Lamy (Bild), dessen Amtszeit im heurigen August endet, kann sich nicht von der Vision verabschieden und malt gravierende wirtschaftliche Folgen für den Fall eines Gesprächsabbruchs an die Wand. "Es gibt ein russisches Sprichwort", warnte er jüngst auf der WTO-Jahreskonferenz die anwesenden Handelsminister: "Säge nicht am Ast, auf dem du sitzt." Eine Einigung in naher Zukunft ist unwahrscheinlich, daher schließen immer mehr Länder bilaterale Handelsabkommen. Lamy musste erfahren, dass sein Job eine "Mission Impossible" ist, dennoch gibt es Gedränge um die Nachfolge. Von neun Bewerbern kommen acht aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie pochen darauf, nach jahrelanger westlicher Dominanz einen Kandidaten aus ihren Reihen ins höchste Amt der globalen Handelsdiplomatie zu bringen. Die besten Chancen hat der Brasilianer Roberto Azevedo.