Grundsatzdebatte: Tötungsverbot auch im Alter? | Die Gesundheitsreligion ist die teuerste Religion. | Linz. "Wie sollen wir mit Krankheit und Leiden umgehen?" Um diese auch politisch hochbrisante Frage kreiste letztes Wochenende die Konferenz "Sinn und Schuldigkeit" in Schloss Hartheim in Oberösterreich. Politiker, Ärzte, kirchliche Vertreter und Künstler waren Vortragende der Tagung, an der insgesamt 250 Personen aus Europa und den USA teilnahmen.
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Mit Ausnahme des Wiener Philosophen Rudolf Burger herrschte breiter Konsens in der Ablehnung aktiver Sterbehilfe. "Die Menschenwürde ist ein zentrales Postulat, das den ganzen Lebensbogen begleiten muss", erklärte etwa Bundespräsident Heinz Fischer, der den Ehrenschutz übernommen hatte.
Platz für Behinderte?
Spannungen zeigten sich beim Thema Abtreibung. So betonte Fischer, dass die "Fristenlösung" in seinen Augen keine "Durchbrechung des Tötungsverbotes" sei. Kardinal Christoph Schönborn kritisierte hingegen, dass es kaum mehr Menschen mit Down-Syndrom gebe, weil diese bereits vor der Geburt erkannt und abgetrieben werden. "Wenn es in einer Gesellschaft keinen Platz für Behinderte gibt, ist die Gesellschaft selbst behindert."
Unerwartet scharfe Worte kamen auch vom Schauspieler Tobias Moretti: "Peter Malmann, der Direktor der Frauenklinik Köln, hält die Abtreibung behinderter Kinder für gesundheitsökonomisch notwendig zur Kostenreduktion in unserem Gesundheitswesen. Der Begriff Gesundheitsökonomie' zeigt, in welche Euphemismen wir hineinkommen: wir verstecken eine grausame Sache hinter einem schönen Begriff."
Bob Schindler, Bruder von Terri Schiavo, berichtete von den Ereignissen rund um den Tod seiner Schwester. Schiavo war 1990 ins Wachkoma gefallen. 2005 verstarb Schiavo unter großem medialen Aufsehen, nachdem ein Gerichtsurteil die weitere Ernährung untersagt hatte. Als Sprecher der Familie hatte Schindler für eine Fortsetzung der Ernährung gekämpft. "Natürlich würde ich nicht freiwillig in einer Situation wie Terri leben", erklärte er. "Aber es gibt Menschen, die so leben und die Frage ist: Helfen wir diesen Menschen oder töten wir sie?"
Kampf um Ressourcen
Dass die Gesundheitspolitik vor gewaltigen Herausforderungen steht, veranschaulichte der ärztliche Direktor im Wiener Haus der Barmherzigkeit, Christoph Gisinger. "Ein wesentlicher Faktor ist die Demographie. Die Zahl der Pflegegeldbezieher wird sich bis 2050 mehr als verdoppeln." Steigende Lebenserwartung bei gleichzeitig geringer Geburtenrate sei nicht nur ein finanzielles Problem: "Uns werden die Menschen für die Betreuung ausgehen."
Auch zieht der medizinische Fortschritt eine "exponentielle Verteuerung" der medizinischen Betreuung nach sich. Je geringer etwa die Risken einer Behandlung, umso höher die Zahl an Behandlungen. Angesichts der Zunahme an Demenz und Alzheimer bei über 85-Jährigen drohe Diskriminierung auf Basis des Alters. "Das Paradoxe daran ist, dass sich diese Diskriminierung einmal gegen einen selber wenden wird!", so Gisinger. Am Gesundheitssystem kritisierte er, dass chronisch Kranke zu kurz kommen und es auch "gut informierte Personen" voraussetzt.
Der deutsche Psychiater Manfred Lütz sieht eine große Herausforderung in der neuen "Gesundheitsreligion". "Die Säkularisierung hat die Heilswünsche der Menschen erfasst. Was wir früher für den lieben Gott getan haben, tun wir heute für die Gesundheit." Um "ewiges Leben auf Erden" zu erlangen, würde man sich selbst schwerster Askese aussetzen: "Gegen heutige Ernährungsvorschriften ist die Benediktinerregel reinster Schlendrian." Die Gesundheitsreligion sei die teuerste Religion der Geschichte, deren Ansprüche das Gesundheitswesen überforderten.
Moralischer Kern der Euthanasiedebatte ist für den Philosophen Anselm Müller die Frage nach der ethischen Zulässigkeit von Selbstmord. "Euthanasie kann nur erlaubt sein, wenn der Selbstmord erlaubt ist. Wenn aber Selbstmord erlaubt ist, dann ist alles erlaubt." Wer - wie ein Selbstmörder- der Ansicht sei, dass das Leben angesichts des Leidens keine Würde mehr besitze, werde früher oder später jeglichen Mord rechtfertigen können.
Die Tagung endete mit einem Streitgespräch zwischen Rudolf Burger und dem deutschen Moraltheologen Eberhard Schockenhoff. Burger meinte, dass Euthanasie nur auf Grundlage des christlichen Glaubens inakzeptabel sei. Im säkularen Staat könne man sich aber nicht mehr auf Religion stützen. Schockenhoff warnte hingegen vor einem verkürzten Freiheitsbegriff. Das zentrale Argument der Euthanasiebefürworter, die Berufung auf die Autonomie des Menschen, sei "philosophisch inkonsistent". Menschliche Freiheit erschöpfe sich nicht in "Autarkie". Jeder Mensch sei bereits eingebettet in zwischenmenschliche Verhältnisse der Fürsorge und der Verantwortung für den Nächsten.