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Evident ist nur die Unschädlichkeit

Von Christa Karas

Wissen

Oft nicht einmal ein "Wirkstoff"- | Molekül enthalten. | Dennoch boomt der Markt mit der Pseudomedizin. | Wien. Sie sind die heimlichen Stars im Apothekengeschäft: Umsatzträchtig, weil frei verkäuflich und per se nicht schädlich, da auch von geringem Nutzen. Selbst so mancher Skeptiker meint, dass ja doch was dran sein könnte an den Globuli und Tropfen, dass man ja oft nicht wisse, warum etwas wirkt und dass man auch bei echten Medikamenten an die Wirkung glauben müsse, damit diese erfolgreich eintritt. Tatsächlich ist Glaube in diesem Fall alles - und der versetzt bekanntlich sogar Berge.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Homöopathie ist heute die am meisten verbreitete pseudomedizinische Behandlungsrichtung in Mitteleuropa", schreibt Theodor Much in seinem neuen Buch, in dem er sich einmal mehr mit Aberglauben und Unwissenheit auseinander setzt. Denn nur auf den ersten Blick, so der Facharzt für Dermatologie mit Praxis in Baden bei Wien, habe Homöopathie nichts mit der Astrologie zu tun. Denn:

"Den wenigsten Menschen, die homöopathische Mittel einnehmen, ist auch bewusst, dass Homöopathie keine Naturwissenschaft ist, sondern - wie die Astrologie - eine rein esoterische Disziplin. Homöopathie ist heute ein Riesengeschäft und die Lobby der Homöopathen sieht es gar nicht gerne, wenn kritische Untersuchungen zum Thema Wirksamkeit der Homöopathie veröffentlicht und auch gelesen werden."

Allerdings, und da unterscheidet auch Much genau, sind die wenigsten homöopathischen Mittel, die heute in den Apotheken verkauft werden, im klassischen Sinn des Erfinders Samuel Hahnemann, sondern sogenannte Komplexmittel und daher sicher wohltuend etwa im Fall nicht-infektiös gereizter Augen oder trockener Nasenschleimhäute.

Je dünner die Suppe, desto kräftiger

"Klassische Homöopathen" setzen dagegen ausschließlich auf potenzierte (hoch verdünnte, "verschüttelte") Einzelsubstanzen - ungeachtet der Tatsache, dass derartige Tinkturen oft kein einziges Molekül dessen enthalten, was da wirken soll. Wie das? - Ganz einfach: Wirft man ein Aspirin in den Atlantik, so entspricht dies in etwa einer typischen, empfohlenen Potenzierung von D 20 (1:20 hoch 20). Dennoch wird in diesen Kreisen darauf beharrt, dass Wirkungen wie Nebenwirkungen mit dem Potenzieren massiv zunehmen, die dünnste Suppe also wider alle physikalischen Eigenschaften zur kräftigsten wird.

Und ebenso wird gerne übersehen, dass Hahnemann bereits bei seinem berühmten Chinarinden-Selbstversuch im Jahr 1790 einem Irrtum aufsaß, indem er seinen erhöhten Puls mit "Fieber" gleichsetzte. Just auf diesem Irrtum basierte allerdings seine ganze Theorie, dass "Krankheiten durch solche Medikamente geheilt werden, die an Gesunden ähnliche Krankheitssymptome wie diejenigen auslösen, an denen der Patient leidet".

Da Chinarinde kein Fieber auslöst und sich das Experiment daher nicht wiederholen ließ, ist davon auszugehen, dass Hahnemann einen "Noceboeffekt" erlebte: "Das bedeutet, dass die Erwartung von Nebenwirkungen eines bestimmten Medikaments, selbst bei Gabe eines Placebos (Scheinmedikaments), die zu erwartenden Symptome auslöst", so Much in seinem noch viel weiter reichenden Kapitel zum Thema.

Nun steht wohl außer Frage, dass - Stichwort "Glaube" - es jedem selbst überlassen ist, auf die Wirkung von was auch immer zu setzen oder davon überzeugt zu sein. Bedenken müssen aber dann angemeldet werden, wenn die Esoterik sogar Einzug in die Wissenschaft hält. Und zwar nicht in Form kritischer Untersuchungen - die gibt es längst zuhauf -, sondern, wie in England, als eigenes Studienfach.

Alternativmedizin als Grundstudium

Seit rund einem Jahrzehnt bieten etliche britische Universitäten Bachelor-Studien selbst in den skurrilsten "Gegenständen" an (Geography with Mountain Leadership, Adventure Recreation, Sports Event Management), ihren Abschluss können die Studenten aber auch in Alternativmedizin und Homöopathie machen. Die Wissenschaftszeitschrift "Nature" ging deshalb jüngst der Frage nach, was denn da eigentlich unterrichtet wird - und blieb leider erfolglos. Denn wo es um die Wissenschaftlichkeit geht, gibt man sich in dieser Branche zugeknöpft.

Abgesehen davon, dass nur wenige der unterrichtenden Homöopathen zu Auskünften bereit waren, zogen sie sich in aller Regel auf den Gemeinplatz zurück, die Studenten wissenschaftliche Prinzipien inklusive kritischer Evidenz-Analysen zu lehren. Der Londoner Mediziner und Fachjournalist Ben Goldacre wollte das aber denn doch genauer wissen und erbat von den verschiedenen Universitäten die Kursmaterialien. Erhalten hat er sie freilich nie. Sein Fazit: "Ich kann mir nicht vorstellen, was die unterrichten... Es ist völlig unakzeptabel."

Auch dem Pharmakologen David Colquhoun vom University College London erging es so - er will die Einsicht in die Unterlagen nun mit Hilfe des Rechts auf freie Information einklagen. Befriedigend dürfte das Material dennoch kaum sein, wie die Antworten der wenigen Auskunftswilligen zeigten. Diese verwiesen auf Studien, deren Fehlerhaftigkeit indessen längst bekannt ist.

Tatsächlich wäre die Wirksamkeit von Homöopathie nur durch Placebo-kontrollierte, randomisierte, klinische Doppelblind-Studien nachzuweisen - doch das ist bisher noch immer an der Materie gescheitert.

Leichtigkeit und Weite im Kopf

England ist diesbezüglich freilich ein Einzelfall, nicht einmal die USA haben derlei zu bieten. Zwar dürfte auch so mancher Programmpunkt der im Wiener Otto Wagner Spital angesiedelten Akademie für Ganzheitsmedizin (gamed) bei Skeptikern für einiges Kopfschütteln sorgen - wie etwa "Die Gesetze der 4-poligen Regulation des Zelle-Milieu-Systems", "Leichtigkeit und Weite im Kopf - die Grinbergmethode" oder "Ayurveda-Ernährung für Diätologen" -, aber sie sind wenigstens nicht Bestandteil eines Universitätsstudiums und das Gros der Referenten hat ein solches immerhin zuvor abgeschlossen. Äußerst sauer über den "Nature"-Bericht ist man freilich auch dort.

Theodor Much

Aberglaube und Astrologie - Was taugen Horoskope?

Verlag Edition Va Bene

ca. 200 Seiten, 21,90 Euro

Sehr zu empfehlen.