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Boliviens Präsident gewinnt unter umstrittenen Begleitumständen die Wahl, zu der er eigentlich gar nicht hätte antreten dürfen.
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Bolivien brennt. Wütende Demonstranten stecken in Potosi im Zentrum des Landes das Gebäude der Wahlbehörde in Brand, in La Paz, der Stadt des Regierungssitzes, kommt es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Protestierenden. Die Provinz Santa Cruz kündigt einen unbefristeten Generalstreik an. Aus allen großen Städten werden Ausschreitungen gemeldet.
Die Wut der Demonstranten richtet sich gegen eine überraschende Wende bei der Auszählung der Stimmen zur Präsidentenwahl. Hieß es von der staatlichen Wahlbehörde erst, Amtsinhaber Evo Morales und Herausforderer Carlos Mesa müssten aller Voraussicht nach in eine Stichwahl, war einen Tag später Morales nun doch mit dem notwendigen Vorsprung von zehn Prozent der Stimmen vorne. Den Ausschlag hätten die Stimmen auf dem Land gegeben, die erst verspätet eingetroffen seien. In Bolivien ist der Kandidat zum Präsidenten gewählt, der über 40 Prozent der Stimmen gewinnt und dabei über mindestens zehn Prozent Vorsprung verfügt. Nach 95,22 Prozent der ausgezählten gültigen Stimmen führt Morales mit 46,85 Prozent vor Mesa mit 36,74 Prozent. Gerade einmal 0,11 Prozent retten Morales damit vor einer Stichwahl. Doch Millionen Bolivianer wollen das nicht glauben. Der Rest sind ungültige oder leer abgegebene Stimmzettel.
Morales’ Vertrauensverlust
Jetzt entlädt sich der Zorn der Bevölkerung. In den sozialen Netzwerken tauchen Videos von Kisten mit Stimmzetteln auf, die vorab mit einem Kreuz für die Morales-Partei MAS versehen waren. Die katholische Kirche und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sprechen von Hinweisen auf Wahlbetrug, die Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten verlangen von der Wahlbehörde eine Erklärung, wie es quasi über Nacht zu dem "drastischen Wechsel" kommen konnte.
Bolivien steht nun vor einer ungewissen Zukunft. Amtlich und damit rechtskräftig ist das Ergebnis in Bolivien noch nicht. Doch schon jetzt ist ein möglicher Wahlsieg von Morales mit einem großen Makel belastet. Die Reaktion der Menschen zeigt, dass eine Hälfte des Landes dem lange unangefochten regierenden Präsidenten nicht mehr vertraut.
Der Bruch kam vor drei Jahren. Damals hatte Morales seine Landsleute zu einem Referendum gebeten, um die in der Verfassung vorgesehenen Amtszeitbegrenzung zu umgehen. Die Bolivianer aber sagten Nein. Damit wäre Morales politische Laufbahn eigentlich im Jahr 2019 beendet gewesen. Doch Morales brach sein Wort und trat mit Hilfe juristischer Unterstützung am Sonntag noch einmal an. Schon damals kritisierten Menschenrechtler, die Kirche und die Opposition Morales Verhalten als einen Angriff auf die Demokratie.
Herausforderer Carlos Mesa kündigte nun an, die Opposition werde keinen zweiten "21. Februar" hinnehmen. Das war das Datum, an dem Morales im Jahr 2016 das Referendum verlor, aber das Ergebnis nicht akzeptierte. Nun ist die Glaubwürdigkeit des Staatschefs erneut erschüttert. Morales’ bevorstehende vierte Präsidentschaft steht unter keinem guten Stern. Er riskiert damit sein politisches Erbe. Der erste frei gewählte indigene Präsident Boliviens hatte das Land auf dem Höhepunkt seiner Macht wirtschaftlich und gesellschaftlich vorangebracht.
Zunehmend autoritär
Zuletzt aber agierte Morales zunehmend autoritärer, ließ dutzende kritische Richter entfernen. Seine Rolle bei den verheerenden Waldbränden vor ein paar Wochen, die er mit einem Dekret, das Brandrodungen ausdrücklich erlaubte, befeuerte sowie politische Niederlagen wie die verlorene Klage um den Pazifikzugang gegen Chile vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag dokumentierten seinen schleichenden Verlust an Überzeugungskraft.
Selbst wenn er diese Krise überstehen sollte, der Präsident der Mehrheit der Bolivianer, der er vor Jahren noch war, ist er nicht mehr.