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Wie sich der Mensch weiterentwickelt: Forscher untersuchen Selektion in nur zwei Generationen.
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Wien. Noch im 20. Jahrhundert wähnte sich der Homo sapiens als Krone der Schöpfung - quasi als Endpunkt der Evolution seit der Abspaltung von den Schimpansen vor acht Millionen Jahren. Doch dann brachte das Human Genome Project im Jahr 2000 das erste komplett sequenzierte Genom. Seither kommen tausende weitere Genome hinzu - sogar das Erbgut unserer Vorfahren wurde entziffert. Die Daten zeigen, wie stark sich der Mensch in den vergangenen 5000 Jahren verändert hat. Und sie werfen die Frage auf, wie wir in 5000 Jahren aussehen werden.
Nun haben US-Forscher der Evolution bei der Arbeit zugeschaut. In einer Studie analysierten sie die Genome von 210.000 Bürgern in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Dabei entdeckte das Team der Columbia University in New York, dass die genetischen Varianten, die mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung stehen, weniger häufig bei Menschen auftauchen, die länger leben und somit mehr Zeit haben, ihre Gene an künftige Generationen weiterzugeben. Das Gleiche gilt für Mutationen, die die Anfälligkeit für Herzerkrankungen, einen hohen Cholesterinspiegel, Fettleibigkeit und Asthma erhöhen, und für solche, die mit der Neigung zu starkem Rauchen zusammenhängen.
Laut den Forschern sind diese Ergebnisse Zeichen der natürlichen Selektion, die ungünstige Varianten aussortiert. "Es ist ein zartes Signal. Aber immerhin haben wir genetische Zeugnisse, wie die Selektion im modernen Menschen vorgeht", betont Ko-Autor Joseph Pickrell, Evolutionsgenetiker an der Columbia University, im Fachjournal "Plos Biology".
Neue, günstige Merkmale prägen sich aus, wenn neue genetische Mutationen Überlebensvorteile bieten. Wenn die vorteilhaften Mutationen weitervererbt werden, werden sie und die zugehörigen körperlichen Merkmale in der Bevölkerung häufiger. Obwohl die Evolution für so komplexe Fähigkeiten wie den aufrechten Gang Jahrmillionen dauern kann, passiert sie laufend und in jedem.
Ohne Mutation lebt man länger
Erst die Entschlüsselung des Genoms hat es Biologen ermöglicht, der natürlichen Selektion bei der Arbeit zuzusehen, indem sie die Genome von hunderttausenden Menschen vergleichen und bestimmten, wie sich bestimmte Mutationen über die Generationen verhalten und ob sie mehr oder weniger werden. Daraus können sie ablesen, welche Merkmale sich verbreiten und welche verschwinden. Pickrell und seine Kollegen analysierten die Genome von 60.000 Amerikanern europäischer Herkunft in einer Datenbank des kalifornischen Krankenversicherers Kaiser Permanente. Weitere 150.000 Genome stammen von in der U. K. Biobank erfassten Briten und deren Eltern.
Bei Frauen über 70 Jahren entdeckten sie einen Rückgang des ApoE4-Gens, das mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht wird. Die Erkenntnisse bestätigen frühere Untersuchungen, wonach Frauen mit einer oder zwei Kopien dieses Gens kürzer leben als jene ohne ApoE4. Auch beim CHRNA3-Gen, das für starkes Rauchen bei Männern zuständig ist, zeigte die Kurve nach unten, und zwar ab dem mittleren Alter. Beide Mutationen wirken sich bei allen Menschen auf die Überlebenschancen aus.
Warum aber zeichnet sich der Trend gerade bei diesen Mutationen ab? "Möglicherweise können Menschen ohne die Mutationen mehr Kinder haben oder länger mit den Enkeln helfen, was deren Überlebenschancen steigert", erklärt Ko-Autorin Molly Przeworski.
Jedoch hängen die meisten Merkmale von vielen Mutationen ab, der reale Effekt jeder einzelnen auf die Fitness lässt sich kaum ausmachen. Um ihre Analyse einzugrenzen, haben sich die Forscher auf Mutationen konzentriert, die mit 42 Eigenschaften in Verbindung gebracht werden. Es zeigten sich komplexe Wechselwirkungen: So geht ein hoher Body Mass Index mit einer Neigung zu hohen Cholesterinen, Herzerkrankungen und einem kürzeren Leben einher, während eine spät einsetzende Pubertät und spätes Kinderkriegen das Leben zu verlängern scheinen. Obwohl die Ergebnisse nur die Richtung andeuten, sind sie laut den Forschern aber doch ein erster Blick in die Evolution des Genoms in nur zwei Generationen.