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Ewald Nowotny

Von Herbert Hutar

Reflexionen

Ewald Nowotny, der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, kommentiert die nationale und internationale Wirtschaftspolitik in der aktuellen Krisenzeit.


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Wiener Zeitung: Herr Professor Nowotny, Sie waren Hochschullehrer, als Politiker Finanzsprecher der SPÖ, als Bankdirektor Krisenmanager und jetzt, als Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, hat Sie wieder eine Krise eingeholt. Welche Zeit war die härteste? Ewald Nowotny: Nun, die härteste Zeit war zweifellos die bei der Bawag. Es hat bis zur Klärung des Sachverhaltes sehr, sehr lange gedauert, und wir hatten - lassen Sie es mich einmal so ausdrücken - mit unvollkommenen Informationen zu kämpfen.

Das heißt, die übriggebliebene Führungsriege war wenig kooperativ?

Für mich ist der Fall abgeschlossen, ich möchte dazu nichts mehr sagen.

In der Nationalbank haben Sie ja auch keinen ruhigen Job.

Ja, es ist eine Herausforderung und es kam auch noch herausfordernder, als ich gedacht habe. Es ist natürlich besonders reizvoll für einen Ökonomen, in diesem zweifellos interessanten Bereich der Wirtschaftspolitik Verantwortung zu übernehmen. In dieser Zwischenrolle zwischen Wissenschaft und Politik fühle ich mich eigentlich sehr wohl, ich kann hier jene Dinge anwenden, die ich ja gelernt habe.

Zusätzlich stellen die Kollegen im EZB-Rat, was die Personen betrifft, eine interessante Mischung aus Analyse und Politik dar. Beispielsweise Axel Weber, der Präsident der Deutschen Bundesbank, den ich seit langem kenne, kommt ebenfalls aus dem akademischen Bereich. Oder der Amerikaner Ben Bernanke. Er ist in seiner Politik wesentlich geprägt von seiner Forschungstätigkeit über die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre.

Wie beurteilen Sie die Arbeit von Notenbankchef Ben Bernanke?

Er tut mit seinen Zinssenkungen genau das Richtige für die aktuelle Situation in den USA. Ihm sind die großen Gefahren eines Zusammenbruches des Finanzsystems bewusst.

Trotzdem haben die Amerikaner das Bankhaus Lehman Brothers pleite gehen lassen, was die Finanzkrise wesentlich beschleunigt hat. War das der Einfluss der Politik oder der FED, also der Notenbank?

Das will ich so nicht beurteilen. In den USA sind Regierung und FED viel enger verzahnt als Regierungen und Notenbanken in Europa. Aber Lehman zusammenbrechen zu lassen, war falsch. Es hat ja zu dieser Zeit, also im September 2008, schon eine gewisse Stabilisierung gegeben. Aber dann ist es neuerlich bergab gegangen.

Wie beurteilen Sie die Wirtschaftspolitik und das Krisenmanagement in den USA? Präsident Barack Obama musste ja die Kongress-Abgeordneten sehr drängen, um sein Konjunkturpaket durchzubringen.

Ja, dazu muss man sagen, dass die USA von einer Wirtschaftskrise viel stärker und unmittelbarer getroffen werden als Europa. Die "automatischen Stabilisatoren" wirken in den USA viel weniger stark. In Europa wirkt der Sozialstaat stabilisierend, in den USA gibt es keinen Sozialstaat, deshalb muss viel massiver gegengesteuert werden.

In Europa hat sich zu Beginn der Krise der französische Präsident Nicolas Sarkozy als EU-Ratspräsident sehr ins Zeug gelegt. Trotzdem haben ihn seine Kollegen mit der Idee eines EU-weiten Rettungsfonds im Regen stehen gelassen.

Stimmt, es gibt zwar keinen EU-weiten Fonds, aber wir haben de facto eine im Gleichklang befindliche Konjunkturpolitik. Das ist Anlass für Optimismus. Und das ist natürlich viel effektvoller, als es isolierte Programme wären.

Aber Sarkozy spielt jetzt bei der Autoindustrie die protektionistische Karte gegen Partnerländer in der EU aus, indem er in Osteuropa tätige Konzerne zur Rückkehr nach Frankreich aufruft.

Ja, das trifft vor allem die Slowakei. Dort stehen ganz neue Autowerke, die auch wegen der Lohnkosten rentabler als die in Frankreich sind. Protektionistische Maßnahmen sind jedenfalls problematisch. Die EU hat ganz klare Regelungen des Binnenmarktes, die keine Ausnahmen zulassen. Die Wirtschaftspolitik hat aus den 30er Jahren gelernt. Damals hat ja der einzelstaatliche Protektionismus die Krise für alle dramatisch verschärft. Der gemeinsame Binnenmarkt lässt heute viele Dinge nicht mehr zu.

Aber der Binnenmarkt darf nicht gleichgesetzt werden mit dem Aushebeln der sozialen Standards. Leider gibt es gewisse EuGH-Entscheidungen, die das unterminieren.

Wie stehen Sie zu Staatshilfe auch für andere Branchen, abgesehen von den Banken?

Da muss man sehr vorsichtig sein. Ich wäre eher für makroökonomische Zielsetzungen, wie beispielsweise generelle Konsumstützungen. Zusätzlich ist es wichtig, die Finanzierungsstrukturen aufrecht zu erhalten. Branchenhilfen sind aus makroökonomischer Sicht eher fragwürdig.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der österreichischen Bundesregierung?

Die Programme sind rasch beschlossen worden, und sie sind umfassend. Das Bankenpaket, die zwei Konjunkturpakete, die Steuerreform mit einem Konjunktur- und einem Investitionseffekt: Das war eine Reaktion - rasch und in die richtige Richtung.

Die EZB hat zur Ankurbelung der Konjunktur den Leitzins seit

Oktober vier Mal auf nunmehr zwei Prozent gesenkt. Viele rechnen mit einer weiteren Senkung im März. Wie groß ist in Ihren Augen noch der Spielraum nach unten? Können Sie sich eine Nullzinspolitik vorstellen?

Ich halte eine Nullzinspolitik wie in den USA gegenwärtig weder für notwendig noch für wünschenswert. Wir haben im Jänner den Zinssatz auf zwei Prozent gesenkt. Wir werden im EZB-Rat jedoch die Entwicklung laufend beobachten und entsprechend analysieren.

Finanzminister Josef Pröll beginnt mit den Budgetverhandlungen und hat einen rigorosen Sparkurs angekündigt. Trotzdem soll das Defizit heuer unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise bis auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts klettern, schätzen Wirtschaftsforscher. Wie weit sollen die Euro-Länder die Budgetzügel lockerlassen? Ist die Drei-Prozent-Grenze in Krisenzeiten nicht zu eng gefasst?

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat seine Funktion, und er soll bleiben. In wirtschaftlich schwierigeren Zeiten muss er jedoch flexibler angewandt werden. Darüber herrscht in Europa grundsätzlich Konsens.

Die Banken werden beschuldigt, trotz staatlicher Hilfe auf ihrem Geld zu sitzen und zu wenig Kredite zu vergeben. Gibt es eine Kreditklemme?

Das muss man differenziert sehen. Es gibt sicher Probleme für längerfristige Großkredite. Davon ist die Immobilienbranche betroffen, davon sind Großunternehmen betroffen. Für kleine und mittlere Unternehmen haben sich die Bedingungen verschärft. Und bei den Privatkrediten sehe ich eher eine sinkende Nachfrage.

Was ich mit Sicherheit sehe, ist eine Renaissance der Hausbanken. Wer schon lange Kunde einer Bank ist, hat sicher weniger Probleme mit einem Kredit, auch wenn sich die Konditionen verschlechtern. Aber jene Kreditkunden, die immer optimiert haben, die immer die Bank mit den jeweils besten Konditionen gesucht haben, für die fühlt sich jetzt keine Bank zuständig. In der Krise zahlen sich eben langfristige Kundenbeziehungen aus.

Sollen Managergehälter gesetzlich beschränkt werden?

Das ist eine politische Entscheidung, zu der die Notenbank keine Stellung nehmen kann.

Zum Thema Osteuropa: Jetzt greift auch dort, wo viele noch intakte Chancen gesehen haben, die Krise um sich. Österreich ist dort sehr engagiert, erhält aber kaum Hilfe von der EU. Finanzminister Josef Pröll verlegt sich jetzt auf Reisediplomatie, um die Partner in Osteuropa zu einem angemessenen Krisenmanagement zu bewegen. Brennt der Hut?

Nun, in Osteuropa gibt es nicht nur einen Hut, es gibt viele Hüte. Osteuropa ist kein einheitliches Gebilde, man muss jedes Land einzeln betrachten. Es gibt große Unterschiede, wir brauchen uns nur in unserer unmittelbaren Nachbarschaft umsehen. Slowenien und die Slowakei sind Mitglieder der Euro-Zone. Dort sehe ich keine Probleme, die Slowakei hat sogar eine der höchsten Wachstumsraten. Ungarn hat Probleme, aber da hilft die EU ebenso wie der Internationale Währungsfonds, da ist das Krisenmanagement in Kraft. Jenseits der EU sind in der Ukraine die Probleme offensichtlich.

Es hat Pläne für eine europäische Ratingagentur gegeben. Die sind jetzt wieder eingeschlafen. Was halten Sie davon?

Eine solche Agentur wäre wünschenswert. Schon als Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank habe ich mich mit dem Thema beschäftigt. Aber bis jetzt hat sich kein Träger für diese Idee gefunden.

Wie sollte so eine Agentur beschaffen sein?

Die wesentliche Funktion von Ratingagenturen ist es, Informationsmangel in einer Volkswirtschaft auszugleichen. Einerseits müsste die Frage des Zulassungsverfahrens, andererseits die der Methodologie geklärt werden. Ratingagenturen haben derzeit eine unkontrollierte Macht, und bisher existiert noch keine ideale Lösung. Es müsste eine private, unabhängige Institution sein, die keinen Interessenskonflikten unterworfen ist. Aber es ist schwierig für einen Newcomer, die nötige Akzeptanz am Markt zu finden. Um die nötige Reputation zu erwerben, braucht es einen langen Atem. Das Problem mit den amerikanischen Agenturen ist, dass sie mit den Banken, die sie beurteilen, geschäftlich verbunden sind. Die bestehenden Agenturen sollten daher einer wirksamen Aufsicht unterworfen sein.

Zurück zu Osteuropa: Die Krise dort hat schon die eine oder andere Währung auf Talfahrt geschickt.

Da müssen wir wieder zwischen EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern unterscheiden. Für EU-Staaten hat sich gezeigt, dass es geeignete Mechanismen gibt. Außerhalb der EU bleibt im Wesentlichen der IWF. Wobei die Wirksamkeit natürlich auch von den einzelnen Entscheidungsträgern abhängt.

Meinen Sie die schwierige Situation in der Ukraine?

Ich will das nicht bestätigen.

In Russland sieht es aber auch nicht rosig aus. Die staatliche Bankenhilfe scheint wenig zu wirken, der fallende Ölpreis macht offenbar alles zunichte. Sehen Sie heute eine Russland-Krise wie 1989?

Nein. Dafür gibt es keine Perspektive. Der niedrige Ölpreis macht dem Staatshaushalt derzeit sicher Schwierigkeiten. Aber Russland verfügt über eine beachtliche wirtschaftliche Stärke und hat hohe Reserven. Die russische Notenbank setzt bereits ihre Devisenreserven zur Stabilisierung des Rubels ein. Russland hat genügend Möglichkeiten, um die Situation zu verbessern und die Wirtschaft zu stabilisieren. Im März wird es in Wien übrigens eine gemeinsame Tagung der Oesterreichischen Nationalbank mit der russischen Notenbank und der EZB geben.

Und die baltischen Länder?

Gemessen an ihrem Entwicklungsstand haben sie nach dem Ausscheiden aus der Sowjetunion zu schnell eine zu liberale Wirtschaftspolitik in Angriff genommen. Aber dort helfen die EU, die skandinavischen Länder als gute Nachbarn und der IWF.

Sie sind überzeugter Sozialdemokrat. Jetzt ist eine Form des Kapitalismus spektakulär gescheitert. Fühlen Sie eine gewisse Genugtuung?

Ich fühle nie Genugtuung, wenn es jemandem schlecht geht. Fest steht, dass die Abstellung auf perfekte Märkte und Information Schiffbruch erlitten hat. Ich sehe eine Renaissance des Keynesianismus. Wobei Keynes ja auch kein Antikapitalist war, sondern den Kapitalismus retten wollte. Das Wirtschaftsmodell, dem ich mich verbunden fühle, ist das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, und diese ist notwendiger denn je.

Ist in einer globalen Wirtschaft, bei einem globalen Finanzsystem wirksame Kontrolle überhaupt möglich?

Es wird an einer wirkungsvollen Regelung gearbeitet. Es geht um Bilanzierungsvorschriften, dass risikoreiche Bankgeschäfte nicht in Sondergesellschaften oder Stiftungen ausgelagert und so versteckt werden können - diese sollen vielmehr in der Bilanz sichtbar sein. Und es geht um Verhaltensweisen. Denn Risiken führen zu instabilem Verhalten, wenn das Risiko zu groß wird. Die Risikokontrolle ist zu verbessern. Ich bin guter Dinge, dass da noch heuer einiges auf den Weg gebracht werden kann.

Wir haben eine veritable Vertrauenskrise. Wie kann das Vertrauen unter den Banken wieder hergestellt werden?

Zunächst müssen die Banken glaubwürdige Strukturen aufweisen. Es muss mehr Eigenkapital vorhanden sein. Und es müssen die Geschäftsmodelle überarbeitet werden. Das Geschäftsmodell der reinen Investmentbank ist innerhalb eines halben Jahres zusammengebrochen, das ist jetzt tot.

Die Erwartungen der einzelnen Akteure hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung kann beeinflusst, aber nicht direkt gelenkt werden. Im zweiten Halbjahr dieses Jahres kann die Stabilisierung der realen und der Geldwirtschaft durchaus wieder beginnen.

Zur Oesterreichischen Nationalbank: Sie gilt immer noch als "Privilegienstadel", Stichworte Dienstautos und Pensionen. Sehen Sie weiteren Reformbedarf?

Die Nationalbank hat schon Reformen durchgeführt, aber das Bild ist noch von früheren Zuständen geprägt. In schwierigen Zeiten gibt es eben eine erhöhte Sensibilität für solche Dinge, und diese wird auch zu Recht von der Nationalbank erwartet. Die Dienstwagenregelung wurde überarbeitet. Was die Pensionen betrifft, so gibt es bestehende Verträge, die nicht einseitig geändert werden können. Aber ich habe eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um den bereits eingeschlagenen Reformweg konsequent und zügig weiterzugehen.

Hat sich Ihr Lebensstil durch die Übersiedelung in die Nationalbank geändert?

Nur insoweit, als ich jetzt noch weniger Zeit für mich selber habe.

Zur Person

Ewald Nowotny, Prof. Dr. Dr. h.c., wurde 1944 in Wien geboren. Seine Studien der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien und am Wiener Institut für Höhere Studien schloss er 1967 mit einem Doktorat der Rechtswissenschaften ab. Von 1968 bis 1973 war er Assistent am Institut für Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft der Universität Linz (Prof. K.W. Rothschild).

1973 wurde Nowotny in Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft habilitiert, es folgten Forschungsaufenthalte und Professuren an der Harvard University, der TH Darmstadt, der Universität Linz. Von 1981 bis 2008 war er ordentlicher Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, von 2003 bis 2004 dort auch als Vizerektor für Finanzen tätig.

Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit übenahm Nowotny auch eine Reihe von Funktionen in der Wirtschaft: Von 1971 bis 1979 war er Mitglied und zuletzt auch Präsident im Verwaltungsrat der Österreichischen Postsparkasse (P.S.K.), von 1999 bis 2003 Vizepräsident (d.h. Vorstandsmitglied) der Europäischen Investitionsbank, Luxemburg.

Von 2006 bis 2007 war Nowotny, der auch mehreren Aufsichtsräten angehört, Generaldirektor der Bawag P.S.K., Bank für Arbeit und Wirtschaft und Österreichische Postsparkasse Aktiengesellschaft; seit dem 1. September 2008 ist er als Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank tätig.

Von 1979 bis 1999 war Ewald Nowotny überdies als Abgeordneter der SPÖ im österreichischen Nationalrat, und dort von 1985 bis 1999 Vorsitzender des Finanzausschusses. 2008 wurde er von der Universität Klagenfurt mit dem Ehrendoktorat der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften geehrt.

Herbert Hutar, Dr. phil., früher Leiter der Wirtschaftssendung "Saldo" (Radio Ö1), arbeitet nun als Wirtschaftsjournalist in Wien.