Die vielen Skandale überfordern Gerichte. | Kein einziger Fall ist restlos aufgeklärt. | Anleger brauchen künftig mehr Schutz. | Am Handelsgericht Wien und am Bezirksgericht für Handelssachen sind derzeit rund 2200 Klagen gegen die Meinl Bank anhängig. Die Kanzlei Kunz Schima Wallentin, die für das Geldinstitut tätig ist, rotiert ebenso wie etwa der Grazer Anwalt Harald Christandl, der für rund 450 geschädigte Anleger von Meinl European Land (MEL) ein Amtshaftungsverfahren gegen die Republik Österreich eingeleitet hat.
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Derzeit liegen im Fall Meinl erst rund 20 Urteile in erster Instanz vor, wobei in jedem zweiten der Meinl Bank Recht gegeben wurde. Gegen die übrigen Entscheidungen hat sie Berufung eingelegt. Grund zur Freude gab es vergangene Woche, als das Handelsgericht eine Sammelklage, die im Oktober 2009 von der Advofin Prozessfinanzierung AG für 227 MEL-Anleger eingebracht worden war, abgewiesen hat. Begründung: Wenn die Ansprüche einzelner Anleger zum Inkasso an einen Prozessfinanzierer abgetreten werden, gebe es hierzulande keine Rechtsgrundlage - Advofin fehle somit die Legitimation, jeder Fall müsse einzeln geprüft werden.
So wie Julius Meinl V. stehen auch die soeben fusionierten Schwestern Immofinanz und Immoeast mitsamt der früheren Constantia Privatbank, gegen deren Ex-Bosse bereits seit Monaten strafrechtliche Ermittlungen laufen, im Mittelpunkt einer Klagsflut: Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hat gegen sie soeben Strafanzeige wegen Verdachts des schweren gewerbsmäßigen Betruges, der Untreue und der Marktmanipulation erstattet. Der VKI kämpft obendrein für 2500 Kleinanleger, die laut Rechtsexperten Peter Kolba um fast 40 Millionen trauern, gegen den Finanzdienstleister AWD, der die Immo-Aktien empfohlen hatte.
Die spektakulären Anleger-Skandale in jüngerer Zeit haben jedenfalls die Geschäfte von einschlägig profilierten Anwälten ungemein angekurbelt. Die Beklagten engagieren stets prominente Juristen - Julius Meinl kämpft auch mit Hilfe der Topanwälte Herbert Eichenseder und Christian Hausmaninger um eine weiße Weste -, und die finanziell weniger potenten Kläger vertrauen ebenfalls auf profilierte Rechtsexperten: Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer vertritt unter anderem geschädigte Anleger des Primeo Fund gegen die UniCredit Bank Austria; die Kanzlei Neumayer, Walter & Haslinger engagiert sich in der Causa Amis, und Lansky, Ganzger & Partner kämpfen für rot-weiß-rote Opfer des US-Betrügers Bernard Madoff.
Nur jedes zehnteOpfer klagt auch
So erfreulich die Klagsflut gegen schwarze Schafe in der Finanzbranche für Anwälte auch sein mag, so frustrierend ist sie für all jene, die im Zuge dieser Affären viel Geld verloren haben: Denn die meisten Strafverfahren ziehen sich dermaßen in die Länge, dass die Ansprüche der Anleger auf Schadenersatz verjähren - was den Geschädigten in der Causa Libro teilweise bereits passiert ist. Die heimische Justiz hat nach dem Konkurs der Buch- und Papierhandelskette Mitte 2002 dermaßen beschaulich ermittelt, dass die Anklage wegen schweren Betrugs und Untreue erst 2009 fertig war.
Auch der Amis-Skandal ist mittlerweile in ein endloses Nachspiel gemündet: 62 Millionen Euro beträgt der Schaden, den die Hauptakteure Dietmar Böhmer und Harald Loidl im Zuge des Konkursverfahrens der Amis Financial Consulting und der Amis Asset Management 2005 hinterließen. Die beiden bekamen zwei Jahre danach wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs jeweils sieben Jahre Haft aufgebrummt. Die geschädigten Anleger, die auf Sicav- und Vario-Invest-Fonds geschworen hatten, können indes nur auf ein Wunder hoffen, weil bisher vor Gericht kaum etwas rausgekommen ist. Die Grazer Kanzlei Christandl & Partner etwa vertritt 3200 der insgesamt 12.000 Amis-Opfer.
Egal, ob es um große Finanzhaie geht oder um vergleichsweise kleine Geldjongleure wie Bernhard Wolschlager, dessen Globe Invest im März 2009 mit 34 Millionen Euro Schulden in den Konkurs gerasselt ist: Die meisten Anleger kommen kaum bis schwer zu ihrem Recht, geschweige denn zu ihrem Geld. Ausnahmen bestätigen die Regel: Anfang dieses Jahres siegte ein geprellter Immofinanz-Anleger in erster Instanz. Er hatte Schadenersatzansprüche gegen die frühere Constantia Privatbank geltend und die Bank für den Kurssturz seiner Immo-Papiere verantwortlich gemacht. Die Bank hatte diese Aktien über eine Tochterfirma in großem Stil zwecks Kursmanipulation gekauft und Anlegern von einem Ausstieg abgeraten.
Obwohl zehntausende Anleger betroffen waren, sind letztlich nur relativ wenige Verfahren anhängig. Von der im Oktober 2008 geplatzten Affäre der Kärntner AvW sind zwar 12.000 Anleger betroffen, aber die auf diesen Fall spezialisierte Lienzer Anwaltskanzlei Holzinger-Bauer brachte erst kürzlich für rund 420 Geschädigte, die auf ihren Papieren sitzengeblieben sind, sieben Sammelklagen ein. Immerhin geht es dabei um 17 Millionen Euro.
Dass bloß jeder zehnte Kleinanleger, der irgendwo zum Teschek wurde, zu Gericht geht, hat einen guten Grund: Laut Wilhelm Rasinger, der seit mehr als zehn Jahren als oberster Schützer der heimischen Mini-Aktionäre auftritt, ist "kein einziger dieser Fälle zügig und kompetent abgewickelt, geschweige denn geklärt worden". Manche Hauptdarsteller landen zwar à la Julius Meinl oder AvW-Chef Wolfgang Auer-Welsbach vorübergehend in U-Haft, doch sonst schaffen Anleger vor Gericht lediglich Teilerfolge. Eine 91-jährige Dame beispielsweise blieb in einem Musterprozess gegen AWD siegreich.
Ein kleiner Vereinkämpft gegen Goliaths
Während Konsumentenschützer Kolba oder Franz Kallinger vom Prozessfinanzierer Advofin in der Regel erst aktiv werden, wenn das Malheur schon passiert ist, möchte Rasinger schon vorzeitig gegen drohendes Unheil ankämpfen. Als Vorsitzender des als gemeinnütziger Verein organisierten Interessenverbands für Anleger (IVA) ist er bestrebt, krumme Touren aufzuzeigen und Kleinaktionäre vor Tricksereien mysteriöser Finanzjongleure zu bewahren. Rasinger ist laut eigenen Angaben "nicht davon besessen, unentwegt irgendwelche Auseinandersetzungen zu führen".
Trotzdem stößt ihm laufend einiges sauer auf. Obwohl sich am Kapitalmarkt manches zum Besseren gewendet hat - so wurde der Corporate-Governance-Code eingeführt, der aber nur halbherzig umgesetzt wird -, ist Rasinger überzeugt, dass der Anlegerschutz in Österreich "der internationalen Entwicklung immer noch hinten nachhinkt". Daher hat er einen Forderungskatalog (siehe Kasten) ausgearbeitet, um sich in Zukunft den Frust über Finanzskandale wie Libro, Yline, Amis oder MEL sparen zu können.
Die IVA meldet sich laufend zu heißen Themen wie Abfindungsangebote zu Wort. Im vergangenen Jahrzehnt konnte Rasinger rund 30 Überprüfungsverfahren per einvernehmlicher Lösung abschließen, darunter die Fälle Bank Burgenland, Generali und Constantia-Iso. Immer noch nicht beendet sind hingegen die Causen Böhler/Voest und Bank Austria/UniCredit. Obendrein regelte Rasinger mehr als 100 Beschwerden von Kleinanlegern per Intervention im positiven Sinn. Schließlich übernimmt er die Vertretung von Mini-Aktionären auf Hauptversammlungen, von denen er rund 30 pro Jahr besucht.
Da er den Bossen etlicher AGs immer wieder mit Fragen und Anträgen verbal auf die Zehen tritt, ist sein Beliebtheitsgrad da oder dort relativ begrenzt - und bisweilen wird er auch persönlich unter Druck gesetzt: Eine Zeit lang deckte ihn der Industrielle Mirko Kovats mit zivilrechtlichen Klagen ein, in jüngerer Zeit zog Julius Meinl gegen ihn mehrmals vor Gericht. Rasinger kann sich freuen, dass er selbst gegen den mächtigen Finanz-Rambo so gut wie immer gewonnen hat.
Wünsche der Kleinaktionäre
Die Forderungen des IVA, um das Risiko der Anleger zu reduzieren und ihre Rechte zu stärken:
Stärkung der Finanzmarktaufsicht (FMA)
Veröffentlichung von Vorstandsbezügen, Vergütungsbericht erstellen
Erfolgsprämien/Boni erst nach 3 Jahren auszahlen
Kapitalmarktprospekte müssen in deutscher Sprache angeboten werden
externe Rotation der Wirtschaftsprüfer alle 5 bis 7 Jahre verpflichtend
EU-Richtlinie betreffend "Enforcement" umsetzen ("Bilanzpolizei")
Delisting-Regeln sollen Verpflichtung eines Angebots an Streubesitz-Aktionäre bei Erreichen der 90 Prozent-Schwelle fixieren
mehr Transparenz und Publizität von Stiftungen
mehr Qualität und kürzere Funktionsperioden in Aufsichtsräten.
Zur Person
Wilhelm Rasinger, am 4. März 1948 in Wien geboren, begann seine Karriere nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre als Projektleiter des Hernstein Instituts. Von 1980 bis 1994 war er bei der Wiener Allianz bzw. der Allianz Elementar tätig. Seit 1994 ist er geschäftsführender Gesellschafter der Inter-Management Unternehmensberatung. Seit 1999 engagiert sich Rasinger für den IVA. Zudem ist er Honorarprofessor an der TU Wien, Lektor an Fachhochschulen sowie Aufsichtsrat (Erste, Wienerberger, CEE Immobilien). Er ist mit einer Spanierin verheiratet, hat vier Söhne und eine Tochter.