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Ewiges Thema Papst Pius XII. und die Juden

Von Rudolf Gimm

Politik

Das Schweigen von Papst Pius XII. zur Judenvernichtung in der Endphase von Hitlers Deutschem Reich wird immer wieder neu und nachhaltig in Erinnerung gebracht. Erstmals ist jetzt das von einem großen Teil der Weltöffentlichkeit als moralisches und politisches Versagen empfundene Verhalten des Römers Eugenio Pacelli auch Stoff eines Kinodramas. Der französische Regisseur Constantin Costa-Gavras hat Rolf Hochhuths Theaterstück "Der Stellvertreter" verfilmt, das 1963 den ersten großen Diskussionsanstoß gab. Mit neuer Diskussion ist zu rechnen, wenn im kommenden Herbst der Amerikaner Daniel J. Goldhagen, Autor des Bestsellers "Hitlers willige Vollstrecker" (1996) über die Deutschen und die Juden, sein angekündigtes Buch "Die katholische Kirche und der Holocaust" vorlegt.


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Die Art der Beachtung des mit zusätzlichen fiktiven Elementen versehenen Films zeigte erneut, was für ein Reizthema Pius XII. nicht nur bei Kritikern ist. Da ist die Rede von einer Mischung von Dichtung und Wahrheit, wird auch auf Unglaubwürdigkeiten in Einzelheiten verwiesen. In einem Beitrag der evangelischen Zeitschrift "Zeitzeichen" (Berlin) heißt es kritisch zum fiktiven "Hauptstrang der Erzählung", der Pius und den bekennenden Christen und SS-Mann Kurt Gerstein zu Antipoden werden lasse: "Fiktion ist ein sinnvolles Mittel, um etwas, was in der Geschichte angelegt ist, deutlicher und - warum nicht - auch spannender zu machen. Aber genau das geschieht in ,Der Stellvertreter' nicht. Das Drehbuch bleibt von Anfang an der simplen Dramaturgie von Gut und Böse verhaftet. Es scheint: Nicht nur Hollywood braucht klare Fronten."

In der katholischen Zeitschrift "Stimmen der Zeit" (München) wird der Film zum Anlass genommen, den Stand der historischen Erkenntnisse darzulegen. Eingeräumt wird, "dass es keine veröffentlichte, offizielle, eindeutige Intervention des Papstes zu Gunsten der verfolgten Juden gab." Dazu wird aber deutlich gemacht, dass die damaligen Chancen, Menschen zu erreichen und zu beeinflussen, nicht aus der Sicht heutiger Öffentlichkeitsstrategien und PR-Möglichkeiten beurteilt werden dürften. Ferner wird zum Verständnis des Verhaltens des Kirchenoberhaupts bekräftigt: "Proteste und Interventionen der Kirche haben im einen Fall die Verfolgung beendet und die Lage verbessert, im anderen aber die Situation nur verschlimmert."

Dass praktische Nothilfe nützlicher sein konnte als Proteste, zeigt jedenfalls der am 25. Oktober 1943 in der Vatikan-Zeitung "L'Osservatore Romano" veröffentlichte päpstliche Aufruf an die Katholiken, die Juden von Rom in ihre Wohnungen aufzunehmen. Auf ihn hin konnten etwa 7.000 von geschätzten 8.000 Juden, die aus Rom stammten oder als Flüchtlinge dorthin gekommen waren, versteckt werden, davon mehr als 4.000 in kirchlichen Institutionen.

Hatte Pius XII. eine definierbare persönliche Einstellung zu den Juden? Rolf Hochhuth bezeichnete ihn unlängst in einem dpa-Gespräch als einen "radikalen Antisemiten". "Das konnte ich zum Glück für mein Drama Ende der 50er Jahre noch keineswegs wissen. So konnte ich dem Papst im Stück noch einen Gewissenskonflikt unterstellen, den es in Wahrheit nie gegeben hat", sagte er dazu.

Wie der seit längerer Zeit zum Thema Päpste/Juden Quellenforschung betreibende Historiker Thomas Brechenmacher (München) urteilt, kann Hochhuth diese Auffassung nicht aus wissenschaftlich ernst zu nehmenden Publikationen gewonnen haben. Er vermutet, dass er sie aus dem Buch des Briten John Cornwell "Hitler's Pope" (1999) bezog. Der könne sich mit seinem Vorwurf jedoch nicht auf mehr als eine einzige Quelle stützen, sagte Brechenmacher. "Neben ihr existieren zahlreiche andere, aus denen genau das Gegenteil zu folgern wäre."

Die von Cornwell genannte Quelle ist ein Brief vom 18. April 1919 aus München an das vatikanische Staatssekretariat. Der damalige Nuntius in Bayern berichtet darin in Eile und höchster Erregung über das Verhalten von Räterevolutionären gegenüber dem Diplomatischen Korps. Der Brief, der auch konkrete negative Bezüge auf jüdische Personen enthält, stammt in wesentlichen Teilen nicht einmal aus Pacellis eigener Feder, sondern gibt wörtlich eine Mitarbeiteraufzeichnung wieder. Allein aus dieser Quelle auf ein "antisemitisches Weltbild" Pacellis zu schließen, wertet Brechenmacher als eine grobe Missachtung der Grundregeln historischer Interpretation.

Dokumente des Zionistischen Zentralarchivs in Jerusalem belegen, dass Pacelli "spätestens 1938 beim Oberrabbiner in Rom sowie bei führenden jüdischen Politikern in Palästina im Ruf großer Judenfreundlichkeit und kategorischer Gegnerschaft zum ,Neuheidentum des Nationalsozialismus' stand. Diese Politiker gingen in der Einschätzung dieses Wohlwollens so weit, dass sie damit rechneten, den Kardinalstaatssekretär und möglichen nächsten Papst für den Plan einer Staatsgründung in Palästina gewinnen zu können", konstatierte der Münchner Historiker. Er verwies auch darauf, dass in den Palästina bezüglichen Akten der römischen Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten sich genügend Pacelli-Schriftstücke aus der Zeit um 1917 finden, in denen die Zukunft des Heiligen Landes ohne jede Judenfeindlichkeit diskutiert wird. dpa