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Ex-Djihadist fordert Entschuldigung

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Politik

EU-Experte sieht Al Kaida deutlich geschwächt. | "Spielte beim Arabischen Frühling keine Rolle."


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Brüssel/Tripolis. Die westliche Welt sollte sich zunehmend aus dem Krieg gegen den Terror verabschieden und auf die polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung von Attentätern umschwenken. Das empfiehlt der EU-Antiterrorbeauftragte Gilles de Kerchove zum 10. Jahrestag der verheerenden Anschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Denn wie wenig zimperlich die Krieger gegen den Terror vorgegangen sind, zeigen erneut zahlreiche Dokumente, die von Geheimdienstlern von Libyens Ex-Machthaber Muammar Gaddafi auf ihrer Flucht vor den Rebellen zurückgelassen wurden. Sie belegen laut britischen Medienberichten eine enge Zusammenarbeit des bereits vor Monaten nach London geflohenen früheren libyschen Geheimdienstchefs Mussa Kussa mit der CIA und den britischen Diensten MI5 und MI6. Offenbar wurden nicht nur Gefangene zum Verhör nach Libyen geschickt, sondern auch Informationen über libysche Oppositionelle mit den Gaddafi-Leuten ausgetauscht.

Prominenter Betroffener der Kooperation war der heutige Militärchef des Übergangsrats in Tripolis, der frühere Al Kaida-Djihadist Abdel Hakim Belhadj. Ein paar Jahre bevor ihm Nato-Jets den Weg in die libysche Hauptstadt freigebombt haben, wurde der einstige "Emir der Libyschen Islamischen Kampfgruppe" (LIFG) laut Eigenaussage noch von CIA-Agenten gefoltert und zur weiteren Behandlung den Libyern überlassen.

Denn nach 9/11 war die LIFG auf der schwarzen Liste der mit Al Kaida assoziierten Terrororganisationen gelandet. Der scheinbar geläuterte Kommandant will von seinen jetzigen Verbündeten zumindest eine Entschuldigung für die "regelmäßigen Folterungen" über mehrere Jahre in Gaddafis Kerkern, teilte er am Montag mit. Erst im Vorjahr war er freigekommen, nachdem er dem bewaffneten Kampf (vorläufig) abgeschworen hatte.

Geringere Gefahr

Heute sieht De Kerchove den "Arabischen Frühling", dessen gewaltsamer Ausläufer der Umschwung in Libyen ist, als ermutigendes Zeichen im Kampf gegen den Terrorismus - und zwar vor allem, weil "die Sprache der Al Kaida in den Protesten gegen autoritäre Regime keine Rolle gespielt hat". Langfristig entziehen mehr Demokratie und Menschenrechte dem Terrorismus den Nährboden, meint der Belgier.

Und die Lage sei wesentlich sicherer als vor zehn Jahren. So große und ausgefeilte Terrorattacken wie damals seien unwahrscheinlicher geworden, weil die Kerntruppe der Al Kaida in Afghanistan und im Norden Pakistans empfindlich dezimiert worden und zudem in finanziellen Schwierigkeiten sei. Die Gefahr sei aber diffuser geworden und gehe heute eher von Ablegern wie den Al-Kaida-Filialen auf der Arabischen Halbinsel aus, etwa im Jemen, und im Maghreb.

Bei der Verhinderung von Anschlägen und der Ausforschung von Verdächtigen sieht De Kerchove Fortschritte. Sammlung und Verwertung von Flugpassagier- und Bankverbindungsdaten seien dafür ebenso wichtig wie die Aufwertung von Europol und Eurojust. Ein wesentlicher Punkt sei aber, die Täter wie Kriminelle nach dem Strafrecht zu behandeln, um ihnen keine Chance zu geben, sich wie "Krieger für ihre Sache" darzustellen. So müssten auch das Gefangenenlager in Guantanamo endlich aufgelöst und die Insassen entweder vor Gericht gestellt oder freigelassen werden.