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Kapitalverkehrskontrolle ist Entscheidung nationaler Notenbank.
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"Wiener Zeitung": Ist Zypern für die Eurozone systemrelevant?Gertrude Tumpel-Gugerell: Meiner Meinung nach ist Zypern kein systemisches Thema. Das Land hat im Gefolge der Griechenland-Krise und seiner Fiskalpolitik Probleme bekommen. Aber jetzt gilt es, die Fortschritte der Eurozone zu bewahren.
Soll Europa Zypern pleitegehen lassen?
Wie andere Länder auch muss Zypern nun ein wirtschaftspolitisches Programm aufsetzen und dafür sorgen, dass es zur Stabilität zurückzukehrt. Es ist dabei leider viel Zeit verloren gegangen.
Die ursprüngliche Idee, Bankguthaben und damit russisches Schwarzgeld in den zypriotischen Banken zu besteuern, klingt aber irgendwie gerecht.
Die Kosten der Sanierung sind zwischen zusätzlichen Krediten und den eingehobenen Steuern aufzuteilen. Die Idee einer Lastenteilung gab es ja auch in anderen Ländern, wie beim Schuldenschnitt für Griechenland.
Wenn Zypern nun Steuern einführt oder anhebt, ist doch das Steueroase-Geschäftsmodell der Insel tot und das Land erst recht pleite.
Es geht hier vor allem um die Einhebung von Steuern. Teil der Vereinbarung ist auch eine genaue Prüfung der Geldwäsche-Vorwürfe. Und eines muss schon gesagt werden: Ein so hohes Wachstum des Finanzsektors ist nicht nachhaltig, das ist keine balancierte Wirtschaft.
Wie schaut denn so eine Balance aus? Wie stark oder schwach muss ein Finanzsektor dabei sein?
Da gibt es keine zwingende Norm. Je größer der Finanzsektor ist, desto höher ist die Belastung in einer Finanzkrise. All diesen Krisen ist ein sehr hohes Kreditwachstum vorausgegangen. Das darf also nicht über ein gewisses Maß hinausgehen. Aber unterschiedlich, je nach Ausgangslage. In osteuropäischen Ländern gibt es einen Nachholbedarf, also wird das Kreditwachstum dort höher sein können.
In Zypern wurden die Banken vorerst geschlossen. Wie lange kann ein Land sein Bankensystem zusperren, ohne dass Schaden entsteht?
Bank-Feiertage gibt es überall. Natürlich muss die Bevölkerung mit Zahlungsmitteln versorgt werden. Eine Zeit lang geht das mit Anschreiben oder Ähnlichem. Das Wichtigste ist aber, dass die Menschen Vertrauen in die Banken haben, in Griechenland hat das ja auch funktioniert.
Wenn die Banken aufsperren, gibt es vermutlich gleich eine enorme Kapitalflucht, auch in Griechenland wurde viel Kapital abgezogen und etwa in die Schweiz transferiert. Das ist kein Schaden?
Genau das gilt es zu verhindern in Zypern. Aber es gibt ja auch Zusagen der Troika (EU, IWF, EZB), dem Land zehn Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Das wäre ein Kapitalzufluss, der zur Stabilisierung dient.
Soll Zypern Kapitalverkehrskontrollen einführen?
In Griechenland war das nicht notwendig, aber das liegt - unter bestimmten Voraussetzungen - in der Verantwortung der nationalen Notenbank.
Wäre die Besteuerung von Bankguthaben eine Gefahr für den Euro? Die Finanzmärkte reagierten ja sehr verschreckt auf die bloße Idee.
Das ist sicher keine Gefahr. Es ist ja keine Rede davon, daraus eine allgemeine Maßnahme zu machen. Mit anderen Euro-Ländern hat das nichts zu tun.
Warum, glauben Sie, hat die EZB dieser "Strafsteuer" zugestimmt, die manche Enteignung nennen?
Die EZB ist in die Gespräche eingebunden, aber die Entscheidung wird in der Politik gefällt.
Jedenfalls sank der Euro-Kurs; für die Exportwirtschaft ist dies ja durchaus erfreulich. Ein beabsichtigter Nebeneffekt?(lächelt) Wechselkursschwankungen gibt es immer. Aber die EZB hat keine Wechselkursziele definiert.
Bleiben wir trotzdem dabei: Für Europas Industrie wäre ein schwächerer Euro vorteilhaft. Die EZB könnte also durchaus unterstützend wirken, immerhin macht sich die EU nun endlich Gedanken um Produktionsbetriebe . . .
Es stimmt, Industriepolitik wurde in den vergangenen Jahren in Europa vernachlässigt. Aber sie muss dort beginnen, wo Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Wachstum gibt es nur durch steigende Beschäftigung. Deren Voraussetzungen heißen Bildung und Innovationen. Die Dienstleistungs-Gesellschaft hat sich als ungenügend herausgestellt. Leider ist die Investitionsneigung derzeit sehr gering.
Gilt das auch für Österreich?
Auch Österreich muss sich bewegen. Die Forschungsausgaben sind vom Ziel entfernt, und die Reform der Bildungspolitik ist lange überfällig.
Wäre eine stärkere Abschottung Europas nicht auch von Vorteil? China ist doch kein offener Markt, die EU aber schon.
Abschottung schafft keinen Wohlstand. Außerdem geht die Entwicklung woanders hin, wie die Bemühungen um ein Handelsabkommen zwischen EU und USA zeigen. Und China ist mittlerweile wichtigster Handelspartner der EU. Die Industrie sagt ja auch, die Energiekosten sind zu hoch in Europa. Auch das hat mit Abschottung nichts zu tun, sondern mit politischen Entscheidungen.
Aber genau da sagen viele, Europa leide an einem politischen Defizit. Teilen Sie diese Ansicht?
Europa befindet sich in einer Transformation. Die Regierungschefs treffen sich ständig, kennen sich daher mittlerweile gut und sprechen sich sehr eng ab. Irgendwann kann es schon sein, dass es gemeinsame Beschlüsse zu Forschungs- und Energiepolitik geben wird.
Aber dann drehen das die nationalen Parlamente wieder ab . . .
Auch die nationalen Parlamente müssen stärker in den europäischen Prozess integriert werden. Es wäre schon gut, wenn möglichst viele nationale Abgeordnete auch einmal im EU-Parlament gesessen sind. Vielleicht wäre da eine Rotation sinnvoll.
Zur Person
Gertrude Tumpel-Gugerell, Jahrgang 1952, war von 1998 bis 2003 Vize-Gouverneurin der Nationalbank und danach bis 2011 Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank. Derzeit ist unter anderem Aufsichtrat in VIG (Wiener Städtische) und Fimbag.