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Ex-Milliardärin steht vor dem Nichts

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Arcandor-Pleite: Bisher wurden etwa 40 Insolvenzverfahren eröffnet. | Jetzt müssen Schickedanz 600 Euro pro Monat reichen. | Die Welt ist noch heil - zumindest auf der Homepage der deutschen Kaufhauskette Karstadt und der Internet-Seite des Versandhändlers Quelle: Neben etlichen Meldungen, die geradezu gleichgültig wirken ("Ab Montag Sommer-Schluss-Verkauf"), ist dort lediglich ein Kurztext zu finden, der auf die Turbulenzen des Konzerns Bezug nimmt. Dort heißt es, dass "die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das Vermögen sowie die Vertretungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergegangen" sei.


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Der Essener Handels- und Touristikriese Arcandor, zu dem nicht nur Karstadt und Quelle, sondern auch der Reiseveranstalter Thomas Cook gehört, hat eine der größten Pleiten der Nachkriegszeit gebaut. Das Amtsgericht in Essen hat bis dato etwa 40 Insolvenzverfahren eröffnet. Rund 40.000 Arbeitsplätze sind in Gefahr, 75.000 Gläubiger sind laut Schätzung von Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg betroffen.

Die ersten Gläubigerversammlungen sollen im November stattfinden. Bis dahin muss feststehen, welche Investoren die optimale Wahl wären und wie es mit den 126 Karstadt-Einkaufshäusern und Europas größtem Versandhändler weitergehen könnte. Die jetzigen Arcandor-Aktionäre werden laut Experten auch im Falle einer Zerschlagung mit ziemlicher Sicherheit leer ausgehen. Und die 109 Quelle-Technikcenter in Deutschland werden ebenso zusperren müssen wie etliche der 1450 deutschen Quelle-Versandshops.

Das Erdbeben, das diese höchst komplexe, aus mehr als 500 Gesellschaften bestehende Arcandor-Gruppe auslöste, trifft eine 1,65 Meter große, elegante Dame besonders: Mitte Juni, als ihre Holding Insolvenz beantragen musste, landete die 65-jährige Madeleine Schickedanz umgehend wegen Herzproblemen auf der Intensivstation einer Schweizer Klinik. Ein paar Tage später ließ sie eine persönliche Stellungnahme aussenden: "Bis zur letzten Sekunde habe ich gehofft und gebangt, um dieses Schicksal abzuwenden."

Aktienkurs abgestürzt

Schickedanz, die einst die Mehrheit am 1999 fusionierten und in der Folge meist schwächelnden Karstadt/Quelle-Konzern gehalten hatte, ist seit kurzem mit einem Anteil von 26,7 Prozent vor dem Bankhaus Sal. Oppenheim größte Arcandor-Aktionärin. Erst im Oktober 2008 hatte sie ein großes Aktienpaket an die Bank abgetreten und zugleich alles, was ihr in Deutschland persönlich gehört, verpfändet, darunter elf Immobilien und Grundstücke in München, Hamburg, Nürnberg oder am Tegernsee. Noch vor zwei Jahren hatte die damalige Multimilliardärin laut "Forbes" mit einem geschätzten Vermögen von fast 4 Mrd. Euro zur deutschen Geld-Elite gezählt, ebenso wie die BMW-Erben Susanne Klatten, Johanna und Stefan Quandt, Tengelmann-Inhaber Eriwan Haub, SAP-Gründer Hasso Plattner oder Verleger Hubert Burda. Im heurigen "Forbes"-Ranking der Superreichen landete sie allerdings mit nur mehr 1 Mrd. Dollar weltweit auf Rang 701. Unter den deutschen Multimilliardären belegt sie nur Rang 50. Die Arcandor-Aktie, die 2007 noch fast 30 Euro wert war, fiel mittlerweile auf 22 Cent - und damit wurden aus Milliarden im Handumdrehen Millionen.

Das kommerzielle Fiasko, in das ihr schon jahrelang krisengebeutelter Konzern gerasselt ist, geht Schickedanz angeblich sehr nahe. Sie leidet derzeit, wie diverse Zeitungen berichten, genauso "wie jede Verkäuferin oder jeder Sachbearbeiter bei Quelle oder Karstadt". Schickedanz gab zu Protokoll, dass sie derzeit von 500 bis 600 Euro im Monat leben und sehr sparsam sein müsse.

Geld nachgeschossen

Das Mitglied hält sich allerdings vielerorts in Grenzen: Vom Boulevardblatt "Bild am Sonntag" musste sich die früher stets medienscheue Tochter des legendären Quelle-Gründers Gustav Schickedanz die Frage gefallen lassen, ob sie ihr Erbe nicht "verzockt" habe. Laut ihrem dritten Ehemann Leo Herl (66) gebe Schickedanz sich zwar selbst Schuld an der Malaise - und auch ihm, weil er im Aufsichtsrat gesessen sei -, aber das Vermögen verzockt, nein, das habe sie nicht. Immerhin hatte seine Frau in den vergangenen fünf Jahren keine Dividende erhalten, sondern musste, wie Herl es formulierte, "ständig Kapital nachschießen", insgesamt einen hohen dreistelligen Millionenbetrag. Teilweise habe sie das Geld mit Bankenhilfe bereitgestellt und als Sicherheit ihren Privatbesitz, also Immobilien und Firmenbeteiligungen, eingesetzt. Schickedanz beklagt ihr Schicksal nun wortgewaltig in den Medien: "Ich hafte mit meinem gesamten Vermögen und meinen Immobilien, mit allem, was auf meinen Namen eingetragen ist."

In der Tat würde Sal. Oppenheim, mit 215 Mio. Euro grundbücherlich abgesichert, wohl alles zwangsverkaufen, sollte die Quelle-Erbin ihre Kredite nicht zurückzahlen können. Und das wäre für Schickedanz der tragische Höhepunkt einer jahrelangen Leidensgeschichte: Ihr Konzern war bereits 2004 in tiefrote Zahlen gerutscht und war jahrelang ein Objekt nie wirklich gelungener Sanierungsbestrebungen.

Vertraute als Chefs

Schickedanz, die oftmals nicht einmal zu wichtigen Hauptversammlungen erschienen ist, übernahm zwar mit ihrem Pool die Mehrheit und beauftragte den ehemaligen Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff, beispielsweise die Hertie-Filialen, die Modekette Wehmeyer sowie das Unternehmen SinnLeffers zu verkaufen und etliche Karstadt-Filialen zwecks Entschuldung zu veräußern. Ihr Kernproblem bestand jedoch seit jeher darin, dass sie als Alleinerbin nie persönlich Verantwortung im operativen Geschäft übernehmen wollte, wofür ihr vermutlich auch die nötigen Voraussetzungen gefehlt hätten.

Stattdessen fand sie Gefallen daran, aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen. Sie überließ die Konzernführung immer wieder gutgläubig vermeintlichen Vertrauten - und das waren stets die falschen Männer, darunter ihre ersten beiden Ehemänner.

Der Konzern, der im Juli 2007 den Phantasienamen Arcandor erhielt, erwies sich allerdings trotz Expansion im Reisegeschäft - Thomas Cook etwa wurde mit der britischen MyTravel fusioniert - als praktisch unsanierbar. Mit den einstigen Paradeunternehmen Karstadt und Quelle ging es immer weiter bergab, sodass die Banken mit neuen Krediten knauserten und die Bilanzen immer gruseliger aussahen.

Die Börsianer straften die Aktien gnadenlos ab, was das Schickedanz-Vermögen rasant schrumpfen ließ: Ihr Aktienpaket, Anfang 2008 noch bei 1,9 Mrd. Euro, magerte auf knapp 20 Mio. Euro ab. Damit hat Schickedanz auf dem Papier etwa 3 Mrd. Euro verloren. Ihre Welt ist eben, im Gegensatz zu den Homepages ihrer Unternehmen, schon längst nicht mehr heil.

Zur PersonMadeleine Schickedanz wurde am 20. Oktober 1943 als einziges Kind von Quelle-Gründer Gustav Schickedanz in einem Luftschutzbunker der Nürnberger Frauenklinik geboren. Nach dem Abitur studierte sie zwei Semester lang Betriebswirtschaftslehre, mit 22 heiratete sie das erste Mal. Schickedanz war zwar nie direkt unternehmerisch tätig, dennoch mischte sie im Hintergrund gerne mit: Ihr erster Mann, Hans-Georg Mangold, machte bei Quelle ebenso Karriere wie der zweite, Wolfgang Bühler, der 1997 auf Grund der Scheidung den Vorstandssessel abgeben musste.

Wegen der hektischen Expansionspolitik ihrer Mutter Grete, die nach dem Tod des Vaters konzeptlos Beteiligungen sammelte, war Quelle in eine stürmische Phase gerutscht, an deren Ende 1999 die Fusion mit Karstadt stand. Europas größter Warenhauskonzern, im Juli 2007 in Arcandor AG umbenannt, machte schwierige Zeiten durch, ehe die Dauerkrise in die Pleite mündete.

Die 65-Jährige hat zwei Söhne und zwei Töchter. Sie lebt mit ihrem dritten Ehemann Leo Herl, einem früheren Quelle-Manager, abwechselnd in St. Moritz und in einem auf ihren Sohn überschriebenes Anwesen samt Villa und Park in Fürth bei Nürnberg, besitzt auch Feriendomizile in Spanien und Frankreich, meidet allerdings den Jet-Set. Sie ist im Rahmen einer nach ihr benannten Kinder-Krebs-Stiftung karitativ engagiert und fungiert als Honorarkonsulin von Griechenland.

Zum Konzern

Der Arcandor-Konzern hat 2008 einen Gesamtumsatz von 20 Mrd. Euro erzielt und 82.000 Mitarbeiter beschäftigt. Das Warenhausgeschäft - 92 Karstadt-Häuser und 28 Karstadt-Sportfilialen - trug ein Fünftel zum Umsatz bei, lieferte jedoch rote Zahlen. Rund ein Fünftel des Umsatzes stammte von Primodo mit dem Universalversender Quelle und weiteren Spezialunternehmen (wie Bogner, Elégance, Madeleine Mode und Peter Hahn). Die Perle der Gruppe ist der Reiseveranstalter Thomas Cook (inklusive Neckermann Reisen), an dem Arcandor 52 Prozent hält, die allerdings teilweise verpfändet sind. Thomas Cook brachte es auf 11,4 Mrd. Euro Umsatz und bilanzierte positiv.

Der größte Arcandor-Aktionär war seit Oktober vorigen Jahres die Kölner Privatbank Sal. Oppenheim, die 28,6 Prozent der Anteile hielt. Sie veräußerte im Juni 3,7 Prozent, sodass der Aktionärs-Pool rund um Madeleine Schickedanz neuerdings mit 26,7 Prozent an der Spitze liegt. Die AG hält 2,3 Prozent eigene Aktien, 42,4 Prozent sind in Streubesitz.

Nachdem Arcandor vergeblich die deutsche Bundesregierung um eine Rettungsbeihilfe gebeten hatte, war der Insolvenzantrag unvermeidbar.

Als Erste traf es die Holding Arcandor AG und deren Töchter Karstadt Warenhaus GmbH sowie die Versandhandelsunternehmen Primondo GmbH und Quelle GmbH. In der Folge hat das Amtsgericht Essen fast 40 weitere Verfahren eröffnet, andere Amtsgerichte werden ebenfalls bald aktiv werden. Nicht betroffen von der Insolvenz sind etwa der Reiseanbieter Thomas Cook, der aber ebenfalls neue Besitzer erhalten wird, oder die KarstadtQuelle Bank.

Keine Kündigungen in Österreich

Die in Linz ansässige Quelle Österreich AG ist zwar gesellschaftsrechtlich eigenständig - die Insolvenz der Mutter hat dennoch Auswirkungen, weil wichtige Bereiche wie etwa der Wareneinkauf über Deutschland abgewickelt werden. Aus derzeitiger Sicht stünden keine Stellenkürzungen an, auch bei den hierzulande rund 170 Quelle-Shops seien keine Veränderungen geplant, hieß es zuletzt aus Linz.