)
Maria Berger fordert mehr Personal, kürzere Verfahren und eine Senkung der Gerichtsgebühren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Maria Berger, ehemals Justizministerin und bis heuer Richterin am Europäischen Gerichtshof, hat vor einigen Wochen eine Petition ins Leben gerufen. "Rettet die Justiz!" Zehn Punkte sind darin aufgeführt, sie sollen den "stillen Tod" der Justiz, wie es auch Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner formulierte, verhindern. Zu den Forderungen zählt eine bessere personelle Ausstattung in fast allen Bereichen und auch bessere Bezahlung von Dolmetschern; kürzere Verfahren; eine Senkung der Gerichtsgebühren; ein unabhängiger Bundesstaatsanwalt (statt Weisung durch den Justizminister); eigene Zentren für jugendliche Straftäter und eine unabhängige Rechtsberatung im Asylverfahren. Am Rande des Forums Alpbach sprach die "Wiener Zeitung" mit Maria Berger.
"Wiener Zeitung": Über die Ausstattung der Justiz wird zum ersten Mal seit Jahren vor einer Nationalratswahl debattiert. Warum jetzt?
Maria Berger: Die finanzielle und personelle Situation war noch nie so dramatisch. Alle, denen das ein Anliegen ist, müssen sich jetzt melden. Die Justiz war immer eine sehr brave Organisation: Das Ministerium, die Gerichte, die Vereinigungen, sie alle haben stets versucht, die Vorgaben und Einsparungen zu erfüllen. Aber irgendwann geht es nicht mehr. Und dieser Zeitpunkt ist jetzt erreicht. Es geht immerhin um die dritte Staatsgewalt. Sie ist für den Rechtsstaat von zentraler Bedeutung, für die Freiheit jedes Einzelnen. Und dass dieser Bereich gut funktioniert, muss ein genauso wichtiges Anliegen sein wie viele andere Anliegen auch.
Justizminister waren oft parteilos, auch zuletzt. Ist das in Budgetverhandlungen ein Nachteil, weil ein parteiloser Minister vielleicht ein schlechteres Standing hat als jemand aus einer Partei?
An sich sollte das nicht so sein. Denn entweder man hat gute Argumente oder nicht. Aber realpolitisch ist es wohl so. Ich habe damals doch einige zusätzliche Planstellen rausverhandeln können, aber das ist nur gegangen, weil mich der Bundeskanzler unterstützt hat. Wenn ich als Parteifreier keinen Kanzler an meiner Seite habe und der Finanzminister ist kraft seines Amtes sowieso gegen mich, dann ist es schwer, etwas zu gewinnen.
Wenn man sich das Justizbudget der vergangenen Jahre ansieht, ist es gar nicht kleiner geworden. Es gibt real ein Plus, und auch gemessen am BIP bzw. den staatlichen Gesamtausgaben gibt es etwas mehr. Warum gibt es also dennoch diese Probleme?
In der Justiz ist das Personal natürlich bedeutsam. Jede Erhöhung für die Beamten frisst schon einmal einen Teil der Budgetsteigerung auf. Doch es steigen auch die Strafsachen und die Komplexität der Verfahren. Man benötigt heute viel mehr Dolmetscher. Und es sind auch mehr internationale Rechtshilfeansuchen notwendig. Die Digitalisierung, die wir noch viel stärker bräuchten, kostet zunächst auch einmal Geld. Mir ist es damals im Strafvollzug gelungen, auf 6000 Insassen runterzukommen. Jetzt sind wir wieder bei 9000 in den Gefängnissen.
War das Haftentlastungspaket damals primär budgetgetrieben?
Es war kurzfristig keine andere Lösung möglich. Ich hatte damals schon ein großes Bauvorhaben angebahnt. Und es wäre auch finanzierbar gewesen. Geplant war eine zusätzliche Vollzugsanstalt in Wien mit einer Außenstelle für das Landesgericht für Strafsachen, speziell für Jugendliche. Das hätte die Josefstadt entlastet. Die Leasingraten dafür hätten wir aus einer Kartellstrafe locker über 15 Jahre finanziert gehabt. Leider hat dann aber meine Nachfolgerin diese Einnahmen dem Finanzminister zur Budgetsanierung geschenkt. Damit war das Projekt tot. Minister Wolfgang Brandstetter hat ja auch wieder etwas gesucht, aber so ein Projekt stampft man nicht von heute auf morgen aus den Boden. Wir brauchen sicher mehr Haft-Kapazitäten. Die baulichen Zustände in der Josefstadt sind für die Insassen und auch die Menschen, die dort arbeiten, untragbar.
Braucht es wirklich mehr Gefängnisse? Es gibt ja auch andere Formen des Freiheitsentzugs.
Es gibt schon sinnvolle Aspekte des Strafvollzugs. Gerade bei Jugendlichen ist es oft sinnvoll, dass sie eine Zeit lang von der Familie wegkommen, wenn diese in einem sehr schlechten Zustand ist. Dafür braucht man aber auch Platz und Personal. Die Resozialisierung muss im Vordergrund stehen. Sie ist neben dem Strafaspekt auch ein Aspekt, dem aber fast nicht mehr nachgekommen wird. Langfristig kostet uns das aber noch deutlich mehr.
Stark personell eingespart wurde beim Kanzleipersonal, zudem beklagen Dolmetscher schlechte Entlohnung. Sie werden sogar für einen Tag ihre Arbeit niederlegen. Sind das aktuell die gravierendsten Probleme im Justizressort?
Momentan ja. Die Richter sollen ja möglichst entlastet werden. Um Protokolle zu schreiben, muss ich kein vollständig ausgebildeter Richter sein. Die Rechtspfleger sind irrsinnig wichtig für den Tagesbetrieb: Grundbuch, Firmenbuch, Unterhaltszahlungen und so weiter. Bei den Richterplanstellen hat einiges immer noch gerettet werden können, bei den nicht- richterlichen Planstellen ist aber so runtergekürzt worden, dass es nicht mehr geht.
Die Richterinnen sowie die Rechtspfleger klagen über Überlastung. Inwieweit tangiert dies auch die Rechtsstaatlichkeit.
Natürlich steigt die Fehleranfälligkeit. Und vor allem steigt die Verfahrensdauer. Es gibt im Englischen den Spruch: "Justice delayed is justice denied" ("Verzögertes Recht ist verwehrtes Recht"). Wenn es ewig dauert, bis ein Urteil ausgefertigt oder eine Grundbucheintragung gemacht ist, dann ist das für die Bürger höchst unangenehm.
Es gab in den vergangenen Jahren recht große Wirtschaftskriminalitätsfälle. Steigt dadurch insgesamt auch der Aufwand?
Gerade das sind Bereiche, wo man Manpower braucht. Wenn es ausgefeilte Gesellschaftskonstruktionen und Überweisungen über zig Banken auf der ganzen Welt gibt, brauche ich einfach Leute dafür. Es dauert dann eh lang genug, bis ich zum Beispiel eine Kontenöffnung in Liechtenstein bekomme. Und tatsächlich ist die Zahl der Staatsanwälte in Österreich gemessen an der Bevölkerung sehr niedrig.
Aber man leistet sich eine eigene Staatsanwaltschaft nur für Wirtschaftskriminalität.
Die soll ja eine Entlastung sein. Man hat sie ja unter anderem dafür gegründet, um spezialisierte Staatsanwälte zu haben, die sich schnell einarbeiten können. Das war schon gedacht zur Entlastung anderer Staatsanwaltschaften.
Der Justizminister hat Ihre Petition zwar nicht direkt unterstützt, aber auch auf die Nöte der Justiz hingewiesen. Und er hat einen Wahrnehmungsbericht angekündigt, eine Art interner Revision, ob die Mittel richtig verteilt sind. Er fordert also nicht einfach nur mehr Geld.
Das ist sicher legitim. Gerade, wenn es wenig Mittel gibt, ist es noch einmal wichtiger darauf zu achten, dass die Mittel richtig alloziert sind.
Das Strafgesetzbuch, aber auch das Fremdenrecht wurde in den vergangenen Jahren mehrfach novelliert. Ist das vielleicht auch Problem der Rechtsstaatlichkeit?
Ich weiß beim Fremdenrecht, dass schon zu meiner Zeit, also vor zehn Jahren, ausgezeichnete Beamte und Juristen gesagt haben, sie hätten ein Problem, nachzuvollziehen, welche Änderung es gerade gegeben hat. Es ist eine gewisse Unsitte, eine Art politischer Aktionismus. Es passiert etwas, und schon brauchen wir einen neuen Tatbestand und andere Strafrahmen.
Aber hat man im Vollzug dadurch auch Problem mit der Rechtsstaatlichkeit?
Das würde ich nicht gleich sagen. Aber es löst das Problem nicht. Es geht dadurch nicht die Kriminalität zurück.
Die Petition ist recht umfassend. Dass alles durchgeht, ist wohl eher unrealistisch. Aber wenn Sie sich einige Punkte raussuchen, die Sie für am wichtigsten halten, welche wären das?
Eigentlich sind diese zehn Punkte schon sehr selektiert. Da gebe es noch sehr viel anderes. Und ich habe bereits Kritik bekommen, dass dieses oder jenes nicht dabei ist. Mir ist wichtig, dass justizpolitische Anliegen nicht nur im kleinen Zirkel diskutiert werden. Ich möchte, dass sich die Zivilgesellschaft, die sich für viele andere Fragen engagiert, auch dieses Themas annimmt und für den Rechtsstaat und eine funktionierende Justiz kämpft. Es ist genauso wichtig wie vieles andere auch.
Zur Person: Maria Berger war seit dem EU-Beitritt bis 2009 Abgeordnete im Europäischen Parlament für die SPÖ, unterbrochen durch zwei Jahre als Justizministerin (2007-2008). Danach war sie Richterin am Europäischen Gerichtshof, den sie heuer verließ. Nun lehrt Berger als Gastprofessorin an der Uni Wien.