Ayatollah Khamenei hat Probleme. Es ist nicht das demonstrierende Volk und auch nicht der Anführer der Opposition, der nach dem umstrittenen Urnengang von Wahlbetrug spricht - es ist der zweitmächtigste Mann Irans, Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, der Khamenei schlaflose Nächte bereitet.
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Die graue Eminenz versucht seit einer Woche, die Machtbasis des obersten Führers zu unterminieren. 120 Unterredungen mit hohen Würdenträgern des Landes soll Rafsanjani bereits absolviert haben, um eine möglichst breite Masse der Elite davon zu überzeugen, dass Khamenei sein Amt und seine Pflichten grob verletzt habe, indem er bei der Wahl eindeutig für den Amtsinhaber Mahmoud Ahmadinejad Partei ergriff. Die gegen Khamenei gerichteten "Manöver" Rafsanjanis, wegen seines spärlichen Bartwuchses oft "Haifisch" genannt, erfolgen parallel zu immer offensichtlicher werdenden Spannungen zwischen Parlamentspräsident Ali Larijani und Ahmadinejad.
Während es den Milizen weitgehend gelang, die Straßenproteste der Anhänger des offiziell unterlegenen Kandidaten Mir-Hossein Moussavi niederzuschlagen, vertieft sich die Kluft innerhalb der Führung der islamischen Republik. In den vergangenen Tagen hatte Larijani, der von Ahmadinejad als Atomunterhändler gefeuert worden war, seine Absicht erklärt, einen Parlamentsausschuss einzurichten, der die Gewaltausbrüche nach den Präsidentschaftswahlen objektiv untersuchen soll. Auch zu Ahmadinejads Siegesfeier ließ sich Larijani nicht blicken.
Gleichzeitig soll Rafsanjani versuchen, Mitglieder der 86-köpfigen mächtigen Expertenversammlung, der er vorsitzt, für den Plan zu gewinnen, Khamenei durch ein kleines Gremium hochrangiger Ayatollahs zu ersetzen, dem auch der jetzige oberste Führer angehören soll. Sollte Rafsanjani mit diesem Vorhaben Erfolg haben, könnte dies eine grundlegende Machtverschiebung innerhalb des theokratischen Systems zur Folge haben. Der für sein diplomatisches Geschick bekannte Rafsanjani ist im Iran zwar kein populärer Politiker mehr, doch er ist die einzige Hoffnung, die viele Perser haben, um eine Annullierung der Wahlen zu erreichen. "Er ist der einzige, der nach Meinung der Iraner Khamenei die Stirn bieten kann", gibt sogar ein Vertrauter des obersten Führers zu. Diese Hoffnungen sind nicht ganz unbegründet, denn der Haifisch zeigt seine Zähne.