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Österreichischer Manager nimmt erstmals umfassend Stellung vor Gericht und weist Vorwürfe von sich.
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Es ist die größte Finanzpleite in der jüngeren deutschen Geschichte. Wirecard war ein Dienstleister für elektronischen Zahlungsverkehr, die Herausgabe von Kreditkarten und Risikomanagement, der 2020 Insolvenz anmelden musste, weil 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz fehlten. Am Montag wurde der seit 2020 in Untersuchungshaft sitzende Ex-Vorstand, Markus Braun, am Münchner Landesgericht befragt. Ob das Geld veruntreut wurde oder ob es jemals existiert hat, ist bis heute unklar.
"Ich hatte keinerlei Kenntnisse von Fälschungen oder Veruntreuungen", sagte Braun im gut besuchten Gerichtssaal des Münchner Landesgerichts. Braun sitzt seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Zu Prozessbeginn im Dezember hatte er nur seine Personalien bestätigt und auch sonst lange Zeit zu den Vorkommnissen bei Wirecard geschwiegen. Nun soll er sich mehrere Tage lang vor Gericht zu den Vorwürfen äußern.
Schwere Betrugsvorwürfe
Und diese wiegen schwer: Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue und Bandenbetrug vor. Der Kronzeuge und ehemalige Dubai-Chef von Wirecard, Oliver Bellenhaus, hat Braun schwer belastet. Er ist Mitangeklagter im Prozess und wirft Braun vor, im Konzern als "Alleinherrscher" agiert zu haben und sehr wohl in die Bilanzfälschung eingeweiht gewesen zu sein.
Braun dementiert das, seine Anwälte bezichtigten Bellenhaus der Lüge. Der 18. Juni 2020, an dem ein 1,9 Milliarden Euro schweres Loch in der Wirecard-Bilanz bekanntgeworden war, sei für ihn "ein Tag des tiefsten Bedauerns" für Aktionäre und Mitarbeiter und ein "Tag des Schmerzes" gewesen, sagte der Österreicher, der die Firma an die Börse gebracht und 18 Jahre lang geführt hatte. "Ein echtes Schockerlebnis", sagte Braun am 13. Prozesstag, an dem er sich erstmals ausführlich zu Wort meldete.
In der Artikelserie "House of Wirecard" hat die "Financial Times" 2015 erstmals über Unstimmigkeiten in der Bilanz von Wirecard berichtet. 2019 wurde in Medienberichten der "Financial Times" der Vorwurf der Manipulation erhoben – Wirecard habe zu hohe Umsätze und Gewinne bei einigen Tochtergesellschaften angegeben.
Wirecard dementierte und beauftrage im Oktober 2019 den Wirtschaftsprüfer KPMG mit einer Sonderprüfung. Diese konnte aber nicht ordnungsgemäß abgeschlossen werden, weil nicht alle erforderlichen Daten dafür vorhanden waren. So konnte KPMG im Bereich der Drittpartnergeschäfte keine Aussage über das Vorhandensein oder eben das Nichtvorhandensein von bestimmten Umsatzerlösen machen.
Am 18. Juni 2020 musste Wirecard eingestehen, dass ein Viertel der Bilanzsumme einfach fehlte. Die Unternehmensberater "Ernst & Young", die zehn Jahre lang die Bilanzen von Wirecard testiert hatten, verweigerten erstmals das Testat für das Geschäftsjahr 2019, weil 1,9 Milliarden Euro in den Büchern fehlten.
Marsalek weiter flüchtig
Eine Schlüsselrolle im Wirecard-Komplex spielt der flüchtige, ehemalige Finanzvorstand Jan Marsalek, ebenfalls Österreicher. Wenige Tage nach Bekanntwerden der Bilanzmanipulation soll er sich, um einer Verhaftung zu entgehen, über Österreich nach Weißrussland abgesetzt haben. Die Ermittler vermuten, dass er sich heute in Russland aufhält. Marsalek soll auch während seiner Zeit bei Wirecard gute Kontakte zu russischen Politikern und dem Geheimdienst gepflegt haben.
Braun sagte, er habe eine Sonderprüfung des sogenannten Drittpartner-Geschäfts durch Wirtschaftsprüfer von KPMG wenige Monate vor dem Zusammenbruch gegen den für das Asien-Geschäft zuständigen Vorstand Jan Marsalek durchgesetzt. Damit sollten die Bilanzmanipulationsvorwürfe gegen Wirecard "ein für allemal aufgeklärt und gelöst" werden. "Ich hab zu Marsalek gesagt, wir haben nichts zu verbergen. Marsalek hat gesagt, dann springen uns alle Händler ab." Transparenz könne das Geschäft zerstören.
Braun beschrieb Marsalek, der 2010 als 20-Jähriger zu Wirecard kam, als Ausnahmetalent, zu dem er eine gute Vertrauensbasis gehabt haben soll. Später habe sich das Verhältnis auf das Berufliche beschränkt. "Aber es war immer eine tiefe Vertrauensbasis da." Marsalek war auch für das in Verruf geratene Drittpartner-Geschäft zuständig.
Der 53-jährige Braun heuerte in den 2000er-Jahren bei Wirecard an. Damals war die Firma ein kleiner Dienstleister für die Abwicklung von Kommissionsgebühren von Kreditkartenzahlungen im Internet für "Adult" – ein Synonym für Pornografie – und Spiele. Braun wandelte Wirecard in einen börsennotierten Konzern um, der Höhepunkt des kometenhaften Aufstiegs als deutsches Technologiewunder war 2018 die Aufnahme in die DAX-Oberliga der Frankfurter Börse. Dort war Wirecard zeitweise mehr als 20 Milliarden Euro wert, und Braun als größter Aktionär war damit steinreich. (red/reu)