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Expansionspolitik in der Bredouille

Von Kerstin Kellermann

Gastkommentare

Einmal ohne "Unschuldsvermutung" über den Internationalen Währungsfonds und Dominique Strauss-Kahn nachgedacht . . .


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Er hätte ja auch sagen können: "Gerade als Jude und als Sozialist liegt es mir fern, die Grenzen anderer Menschen zu verletzen!" Egal welcher Hautfarbe oder "Rasse", egal welchen sozialen Status diese besitzen. Doch was äußerte Herr Strauss-Kahn in einem Interview: Sein Job als IWF-Chef sei schon vorher bedroht gewesen, denn seine "Achillesfersen" wären seine politische Einstellung, seine soziale Herkunft und seine Verehrung für Frauen. Er sah sich als mögliches Opfer von Neid und Konkurrenz - angreifbar durch seine Liebe zu den Menschen.

Strauss-Kahn steht aber noch in anderen geschichtlichen und politischen Traditionen, und genau dort liegt das Problem: Einerseits in jener der Kolonialpolitik Frankreichs gegenüber afrikanischen Staaten, gerade wie eben in Bezug auf Guinea (bei einem afrikanischen Zimmermädchen würde sich ein Kolonialherr immer trauen), aber auch in der Expansionspolitik des Währungsfonds, der großen Einfluss nicht nur auf Länder in Lateinamerika, Asien und Afrika ausübt.

Jugoslawien war in Europa das erste Land, das durch die Unmöglichkeit der Zurückzahlung von in den 1970er Jahren aufgedrängten Krediten, bedingt durch die Hochzinspolitik der USA, in die Bredouille geriet. 1985 zum Beispiel, als Jugoslawien zögerte, einen vorgeschlagenen Spitzenzinssatz zu akzeptieren - da drohte der IWF an, eine Kredittranche von 80 Millionen US-Dollar einzubehalten. Jugoslawiens Verhandler mussten einlenken. "Der Schuldendienst stieg durch die IWF-Stabilisierung an: von 26 Prozent (1980) auf 45 Prozent (1984)", schreibt Rudy Weißenbacher in "Jugoslawien. Politische Ökonomie einer Desintegration".

Die Stabilisierungspolitik - implementiert, um die Schuldenkrise zu überwinden - brachte also deren Intensivierung statt Erleichterung. Der IWF griff sogar in die Strukturen der Arbeiter-Selbstverwaltung in den Betrieben ein. Jugoslawien musste für die Folgen dieser Finanzpolitik nach der Abspaltung der reicheren Bundesländer bitter bezahlen, die verunsicherte Bevölkerung geriet in einen Schwester- und Bruderkrieg.

Ist es Zufall, dass die Kreditgewährung nun mit Griechenland und Spanien vor allem sozialistische Regierungen trifft, die zwischen dem Druck der supranationalen Banken und dem der eigenen Bevölkerung auf der Straße zerrieben werden?

Und noch zu einer weiteren "Unschuldsvermutung": Die Anwälte Strauss-Kahns werden sicher nicht davor zurückscheuen, die Spuren auf der Dienstkleidung des Zimmermädchens als "freiwillig" erzeugt darzustellen, denn Ausbeutung hat ja nicht gewaltvoll, sondern lustvoll zu passieren - suggeriert zumindest die "Erotik der Dominanz". Wenn wir es nicht in Wahrheit mit einer "terroristischen Vereinigung" afrikanischer Zimmermädchen zu tun haben, die sich gegen Kolonialismus und IWF-Expansionspolitik "mit den Waffen schwarzer Frauen" auflehnen . . .

Die Journalistin Kerstin Kellermann verließ Jugoslawien wegen des beginnenden Krieges und schrieb später eine Studie zum Thema "Darstellung von Gewalt gegen Frauen in Tageszeitungen".