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Experiment mit Signalwirkung

Von Christian Mayr

Analysen

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Eines muss man der rot-grünen Wiener Stadtregierung lassen: Scheu vor riskanten Experimenten, die nicht nur finanziell nach hinten losgehen können, kann man ihr nicht gerade nachsagen. Denn im Finale der Verhandlungen um die Tarifreform bei den Wiener Linien, die am Dienstag schließlich verkündet wurde, trat ein regelrechtes Bollwerk an Experten gegen eine Verbilligung der Jahreskarte auf 365Euro auf. Selbst die Wiener-Linien-Chefs sahen darin eine unnütze Maßnahme, die nur Geld koste und letztlich zu Lasten der Qualität gehe.

Immerhin kann niemand behaupten, dass die Wiener nicht gerne mit U-Bahn, Tramway und Bus fahren: Schließlich werden in Wien 36 Prozent der Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt - damit liegt die Bundeshauptstadt im internationalen Vergleich ganz weit vorne. Im Spitzenfeld sind die Wiener Linien auch mit ihrem hohen Anteil an Jahreskarten (250.000) - zumal diese im internationalen Vergleich schon jetzt als günstig eingestuft werden können. Daher wurde der grüne Wahlkampfschlager, die Netzkarte massiv zu verbilligen, als geradezu hirnrissig bezeichnet - anfangs auch in Teilen der SPÖ.

Die nunmehrige Einigung auf die markante Formel 1Euro pro Tag für die Öffis dürfte vor allem ein marketingtechnisches Ziel verfolgen. Nicht nur, dass die rot-grüne Stadtregierung fast genau ein Jahr nach der Wien-Wahl ihren ersten breitenwirksamen Erfolg zelebrieren kann, hat diese antizyklische Investition durchaus Potenzial, anderswo Nachahmer zu finden. Tatsächlich gibt es weltweit keine Kommune dieser Größe, die eine Tarifreform in diesem Ausmaß - und noch dazu in schwierigen Zeiten - umsetzt. Während in Wien sonst oft Themen diskutiert werden, die anderswo längst gang und gäbe sind (etwa die City-Maut), kann sich die Bundeshauptstadt nun durchaus auf die Fahnen heften, einmal internationaler Vorreiter zu sein.

Allerdings wird sich erst in zwei bis drei Jahren zeigen, ob die 25 bis 30 Millionen Euro teure Reform auch tatsächlich ein Erfolg ist. Dazu bräuchte es wohl weiterführende Maßnahmen im Verkehr wie die ohnedies geplante Ausweitung des Parkpickerls über den Gürtel hinaus oder bessere Angebote für Pendler.

Denn gerade bei Letzteren gibt es enormen Handlungsbedarf: Von den täglich nach Wien fahrenden 528.000 Personen kommen 79Prozent mit dem Auto und nur 21Prozent mit S-Bahn oder Bus. Hier eine Trendwende einzuleiten, wird allein mit einer billigeren Jahreskarte nicht funktionieren - sondern einzig über ein gemeinsames Konzept für die Ostregion, das am Ende raschere Verbindungen und dichtere Intervalle bringt.