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Vaupel erwartet mehr Zufriedenheit durch eine längere Lebensarbeitszeit. | Seine Idee: Mehr Arbeitsjahre, doch nur 30-Stunden-Woche. | Berlin. Der 65-jährige New Yorker James Vaupel ist der meistzitierte Bevölkerungsforscher der Welt. Er hat für Furore gesorgt mit der Aussage, dass die Menschen heute aufgrund ihres Wohlstands und der medizinischen Versorgung jedes Jahr drei Monate Lebenszeit mehr geschenkt bekommen. Der "Berliner Zeitung" sagte er, er wolle bis zum 85. Lebensjahr arbeiten. "Ich mag meine Arbeit sehr. Und ich habe das Gefühl, noch genug Energie zu haben und genug Ideen."
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In Deutschland hat sich seit 1999 der Eintritt in den Ruhestand um zwei Jahre nach hinten verschoben. 2009 gingen 38,7 Prozent arbeitsfähiger Bürger zwischen 60 und 64 Jahren einer Tätigkeit nach; fast doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Der Trend zur längeren Lebensarbeitszeit ist in vollem Gange.
"Die Zahlen sind eine gute Nachricht", kommentiert der Sozialexperte Martin Gasche vom Forschungsinstitut Ökonomie und Demografischer Wandel in Mannheim. "Sie beweisen, dass ältere Menschen noch arbeiten wollen und können." Ein "Bewusstseinswandel" habe stattgefunden. Die Menschen fühlen sich länger jung, sind nachweislich länger gesund und viele arbeiten gern, um auf diese Weise am Leben teilzuhaben. Auch finanzielle Notwendigkeiten spielen eine Rolle. "Selbst Arbeitgeber haben eingesehen, dass es ohne Ältere nicht mehr geht", betont Gasche.
Neben den sozialpolitischen Wirren, die derzeit die Diskussion verzerren, bleiben aber individuelle biografische Faktoren unberücksichtigt, die für eine längere Lebensarbeitszeit sprechen. Vaupels Vater ist im Alter von 90 Jahren gestorben, seine Mutter ist jetzt 92. Da der Sohn gesünder ist, als es sein Vater mit 65 war, werde er mindestens 95 werden. Die Gene bestimmten zu 25 Prozent unser Leben, so Vaupel, aber der Lebensstil sei mit 65 Prozent der wichtigste Einflussfaktor. "Was wir essen, ob wir Sport treiben" spiele eine Rolle. Ruhezeiten, Meditation, Gelassenheit, die Erfahrung von Lebenssinn, Familie, Partnerschaft, Glückserlebnisse ebenso.
Dazu kommt die bessere medizinische Versorgung. "Heute sind die meisten Menschen mit 70 Jahren gesund und viele sind es auch mit 80. Wir werden nicht nur immer älter, sondern sind die meiste Zeit gesund - das ist die wirklich gute Nachricht aus der demografischen Forschung", betont der Experte. In wenigen Jahren würden Menschen im Schnitt 105 Jahre alt werden, schon heutige Teenager "können mit rund 100 Lebensjahren rechnen". Da sei es "nur sinnvoll, länger im Leben zu arbeiten".
Vaupel plädiert für "eine ganz neue Aufteilung des Lebens": Statt 30 Jahre lang 40 Stunden pro Woche zu arbeiten, könnten wir 40 Jahre eine 30-Stunden-Woche haben. "Ich empfinde es als große Tragödie", so Vaupel zur "Berliner Zeitung", "dass Leute besonders hart arbeiten, wenn sie Kinder haben könnten. Und wenn Kinder da sind, haben die Eltern keine Zeit für sie. Die klassische Dreiteilung des Lebens in Ausbildung, Beruf und Freizeit ist von gestern. In Zukunft werden wir das stärker mischen."
Altersgrenze abschaffen
Vaupel empfiehlt, die Altersgrenze für Berufstätige abzuschaffen und die Höhe der Pension von der Lebensarbeitszeit abhängig zu machen. "Wer früh in Rente geht, bekommt eine kleinere Rente. Wer später geht, eine höhere. Ich halte sehr viel davon, die Leute so lange arbeiten zu lassen, wie sie wollen." Die Grenze nach oben sieht er offen. Erst "das hohe Alter ist tendenziell eine Phase schlechter Gesundheit. An etwas müssen wir ja sterben."
Die moderne Medizin werde die Krankheiten aber "auf ein Minimum reduzieren" und selbst die gefürchtete Demenz immer weiter hinauszögern. James Vaupel weiß, wovon er spricht. Das von ihm 1996 im Auftrag der Max-Planck-Gesellschaft gegründete Institut für Demografie in Rostock hat das gerade in einer Langzeitstudie ermittelt.