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Explosives Ende eines Tyrannen

Von Michael Schmölzer

Politik

Entwaffnung der verschiedenen Fraktionen "hat oberste Priorität". | Gemeinsames Feindbild liegt am Boden - was folgt? | Basis für Aufbau demokratischer Strukturen kaum vorhanden.


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Tripolis. Muammar Gaddafi ist noch nicht vollständig besiegt, schon taucht für Libyens Opposition eine neue, tödliche Gefahr auf. Es besteht jetzt die Möglichkeit, dass die Rebellen - sobald sie aus ihrem Siegestaumel erwacht sind - aufeinander losgehen und einen blutigen Machtkampf starten. Jede der zahlreichen Gruppen will die Kontrolle in der Metropole Tripolis übernehmen, berichtet der Brigade-Kommandant und Rebellenführer Husam Najjair der TV-Station "Al Arabiya". Er werde jetzt versuchen, mit seinen Männern Checkpoints in den Straßen von Tripolis zu errichten und jeden zu entwaffnen, so Najjair. "Sonst gibt es ein Blutbad."

Während sich Gaddafi-treue Soldaten am Montag erbitterte Abwehrkämpfe mit den Rebellen lieferten, stellt sich den Oppositionellen die Frage, welche politische Figur die höchst unterschiedlichen Gruppierungen einen kann. Für den US-Strategie-Berater Karman Bokhari ist die Antwort klar: Es gibt derzeit in Libyen keine Persönlichkeit, die von allen Rebellen respektiert wird. Der Politologe weist darauf hin, dass Gaddafi das Land jahrzehntelang als "Kultfigur" geführt hat. Politische Institutionen, wie sie im Westen üblich sind, konnten unter diesen Bedingungen nicht entstehen - was den Übergang zu einer möglichst demokratischen Post-Gaddafi-Ära nicht leichter macht.

Zahllose Risse

Eine gemeinsame Identität haben die Rebellen nach sechs Monaten harter Gefechte gegen das Regime nicht. Sie bezeichnen sich als "Kämpfer aus dem Ort x oder y", nicht aber als "libysche Freiheitskämpfer". Berber und Araber mustern einander voller Verachtung, die Krieger aus den westlichen Nafusa-Bergen spucken geringschätzig aus, wenn von der im Osten gelegenen Oppositions-Hochburg Benghazi die Rede ist. Immerhin waren es Krieger aus dem Westteil des Landes, die sich nach Tripolis vorgekämpft haben. Geeint hat Libyens Opposition der Hass auf Muammar Gaddafi, doch was, wenn das gemeinsame Feindbild besiegt am Boden liegt? Der plötzlich Tod des Militärchefs der Rebellen, Abdel Fatah Junes, stimmt viele internationale Beobachter nachdenklich. Der Ex-Innenminister war im Februar zu den Rebellen übergelaufen, im Juli wurde er beseitigt - weil er mit Gaddafi-Kräften kollaboriert haben soll. Viele sprechen von einem Machtkampf unter den Rebellen.

Parteien im westlichen Sinn gibt es in Libyen nicht, in erster Linie ist man hier seinem Stamm verpflichtet - zumindest außerhalb der großen Metropolen. Die Jugend in Tripolis, in Benghazi, Misrata und Brega hat sich von diesen archaischen Strukturen bereits emanzipiert. Trotzdem ist die Stammesstruktur tief verwurzelt in der libyschen Gesellschaft, die Stammeslogik ist für einen Großteil der politischen Entscheidungen, die in der Vergangenheit gefällt wurden, verantwortlich. Dass damit in der Zukunft Schluss ist, ist nicht anzunehmen.

Alle Hoffnungen konzentrieren sich in der Phase des politischen Umbruchs auf den Nationalen Übergangsrat. Das führende Gremium wurde zu Beginn des Aufstandes im Februar 2011 als kleinster gemeinsamer Nenner von den Oppositions-Fraktionen gegründet. Der Rat hat bereits angekündigt, seinen Sitz nach Tripolis verlegen zu wollen - um das entstandene Machtvakuum so rasch als möglich zu füllen, wie es heißt.

Das Rebellen-Gremium, in dem 31 Personen sitzen sollen, hat sich zu den Grundprinzipien des Rechtsstaates, einer pluralistischen Demokratie, den Menschenrechten und der Gleichberechtigung aller bekannt - zumindest auf dem Papier. Dann was die Mitglieder des Rates - die oft nicht einmal namentlich bekannt sind - wirklich wollen, wofür sie tatsächlich stehen, ist nicht so genau zu eruieren. In Washington ist man sich bis zum heutigen Zeitpunkt nicht völlig sicher, wen man da eigentlich über Monate unterstützt hat.

Das bekannteste Gesicht der Opposition ist Abdel Jalil, der Vorsitzende des Übergangsrates. Er gilt als Technokrat und Mann des Kompromisses. Immerhin muss er die verschiedensten Strömungen und Interessenslagen unter einen Hut bringen: Im Übergangsrat sitzen ehemalige Minister Gaddafis, eingefleischte Alt-Oppositionelle, arabische Nationalisten, Islamisten, Säkulare, Sozialisten und erfolgreiche Geschäftsmänner.

Eine weitere prominente Figur der libyschen Opposition ist Mahmoud Jibril. Er war unter Gaddafi für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich und verfügt über ausgezeichnete internationale Kontakte. Er dürfte innerhalb der künftigen libyschen Führung eine Schlüsselrolle spielen. In den Vordergrund gespielt hat sich auch Ali Tarhouni. Der Professor im US-Exil ist zuletzt nach Libyen zurückgekehrt und kümmert sich um Finanz- und Wirtschaftsfragen und das Ölgeschäft.

Arabische Revolution