Weil Russland zunehmend weniger Gas liefert, will Österreich ein Kohlekraftwerk reaktivieren.
Es hat fast schon eine tragische Ironie, dass ausgerechnet Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) das stillgelegt Kohlekraftwerk in Mellach für den Notfall wieder aus dem Tiefschlaf holen muss. Dabei hatte Ex-Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber am 16. Juli 2020 noch medienwirksam das letzte Kohlestück aus Mellach an die Umweltministerin übergeben. Es sollte im Museum ausgestellt werden, ein Relikt aus vergangenen, umweltschädlichen Tagen.
Aber harte Zeiten erfordern harte Maßnahmen. Dass Russland seit Tagen deutlich weniger Gas an seinen österreichischen Vertragspartner OMV liefert und den Gashahn theoretisch auch jederzeit ganz zudrehen könnte, ist so ein Ernstfall. Seit einigen Tagen liefert Gazprom nämlich um die Hälfte weniger Gas nach Österreich als eigentlich üblich. Ebenso nach Deutschland.
Argumentiert wird das seitens des staatlichen Energieversorgers mit technischen Störungen und Wartungen an den Gasleitungen. Tatsächlich geht die Politik aber davon aus, dass Russland Gas nun als geopolitische Waffe einsetzt. Eigentlich wollte man in den Sommermonaten Gas für den Winter bevorraten. Durch die reduzierten Liefermengen ist das jetzt aber kaum machbar und besonders teuer.
Mellach wird umgerüstet
Deshalb soll jetzt das stillgelegte Fernheizkraftwerk Mellach des teilstaatlichen Energieversorgers Verbund so umgerüstet werden, dass man dort im Notfall - also im Fall eines totalen Lieferstopps aus Russland - wieder Strom und Wärme aus Kohle erzeugen kann. Das wurde im Rahmen des "kleinen Krisenkabinetts", mit Gewessler, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und Experten aus der Branche, vereinbart.
"Wir sind in herausfordernden Zeiten, die extreme Maßnahmen erfordern", sagt Verbund-Sprecherin Ingun Metelko im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Jetzt würden alle technischen und administrativen Details rund um die Umrüstung geprüft. Es werde jedenfalls noch dauern, bis man am Standort dann auch Kohle verheizen kann.
Und tatsächlich wird das Unterfangen für den Verbund nicht ganz einfach. Zum einen fehlen qualifizierte Facharbeiter für den Betrieb eines Kohlekraftwerks. Viele sind schon in Pension gegangen. Zum anderen gibt es am Standort in Mellach keine Kohle. Es müssen noch Pläne für die Beschaffung und Bevorratung von Kohle erstellt werden.
Die Beschaffung könnte sich aber als schwierig erweisen. In Österreich wird keine Kohle mehr abgebaut. Und auch EU-weit ist der Kohleabbau in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Das wird sich jetzt kurzfristig ändern, denn auch Deutschland hat angekündigt, im Fall eines Lieferstopps wieder auf Kohle zurückzugreifen. Die gewonnene Kohle wird aber eher in die Bevorratung und Lagerung gehen und nicht exportiert werden. Zudem sind die Preise für Kohle nach dem EU-Lieferstopp für russische Kohle am Weltmarkt gestiegen. Die nun steigende Nachfrage bedeutet damit noch höhere Preise.
Dürnrohr nicht reaktivierbar
Bevor das Kohlekraftwerk in Mellach stillgelegt wurde, hatte es eine Leistung von 246 Megawatt. Jährlich wurden dort 400.000 Tonnen Kohle verheizt und zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. 34 Jahre lang lieferte das Fernheizkraftwerk etwa 80 Prozent der gesamten in Graz benötigten Fernwärme - insgesamt mehr als 30 Milliarden Kilowattstunden Strom sowie 20 Milliarden Kilowattstunden Fernwärme. Die Lieferung aus Mellach bildete die Basis für den Ausbau der Fernwärmeversorgung in und südlich von Graz. Ob diese Leistung wieder hochgefahren wird und wie viel Kohle dort eingelagert und zu Energie verarbeitet werden soll, ist noch nicht klar.
Neben Mellach wurde in den vergangenen Jahren ein zweites Kohlekraftwerk stillgelegt. Das Kraftwerk im niederösterreichischen Dürnrohr wurde damals als Ersatzkraftwerk für das nicht in Betrieb gegangene Atomkraftwerk Zwentendorf gebaut. Verbund und EVN haben es unter gemeinsamer Beteiligung betrieben. 2015 stellte der Verbund seinen Block quasi ruhend, 2019 stieg auch die EVN aus der Kohleenergie aus und führte eine Betriebsunterbrechung durch. Das kommt einer Stilllegung gleich.
"Der Standort in Dürnrohr ist heute so nicht mehr reaktivierbar. Wir haben kein Personal vor Ort und auch keine Kohle", sagt EVN-Sprecher Stefan Zach auf Nachfrage zum EVN-Block. Zudem habe man auch keine Betriebsgenehmigung für die Anlage und die Technik müsste nachgerüstet oder neu angeschafft werden.
Kritik von der Opposition
Von Umwelt-NGOs und der Opposition kam jedenfalls Kritik rund um die Kohlekraftpläne der Regierung. "Gewessler hat letztlich nichts auf den Boden gebracht und setzt jetzt offenkundig einen Akt der Verzweiflung", erklärte der SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll am Montag. Der Generalsekretär der Neos, Douglas Hoyos, nannte die Ministerin "plan- und orientierungslos".
"Kohle ist die klimaschädlichste Energie und führt zu gesundheitsschädlichen Quecksilberemissionen und Feinstaub", sagte der Klima- und Energiesprecher von Global 2000, Johannes Wahlmüller am Montag. "Wenn jetzt über einen möglichen Einsatz des Kohlekraftwerks in Mellach diskutiert wird, dann sollte klar sein, dass es sich nur um zeitlich eng begrenzte, akute Notfälle handeln darf", so Wahlmüller. Gewessler war selbst, bevor sie Ministerin wurde, Geschäftsführerin von Global 2000.
Tatsache ist jedenfalls, dass die Gasspeicher in Österreich derzeit zu rund 40 Prozent gefüllt sind. Der OMV-Gasspeicher hat mit 64 Prozent aktuell den höchsten Füllstand. Bis November sollen es österreichweit 80 Prozent werden, um im Fall eines langen Lieferstopps für den Winter gerüstet zu sein. Das Befüllen der Gasspeicher findet in der Regel im Sommer statt, wo nur halb so viel Gas verbraucht wird und dadurch auch der Gaspreis deutlich niedriger ist.
Heuer ist das aber anders. Russland hat über fünf EU-Länder ein Gaslieferstopp verhängt und hat die Lieferungen nach Deutschland und Österreich um die Hälfte gedrosselt. Das verknappt das Gasangebot zusätzlich und treibt die Preise in die Höhe.