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In der Brexit-Debatte zeigt sich viel Hochmut. Just im linksliberalen Lager, wo Toleranz großgeschrieben wird, werden seltsam autoritäre Töne laut.
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Manchmal zeigt sich das wahre Gesicht einer Gesellschaft in ihren Reaktionen auf demokratische Entscheidungen. Nach dem Brexit-Votum titelte die "taz": "Die Alten machen uns fertig." Der Streit um die Zugehörigkeit zur EU wurde zu einem Generationenkonflikt stilisiert, weil die älteren Wähler mehrheitlich für den Brexit stimmten. Die jungen Wähler fühlten sich um ihre Zukunft beraubt. Die "Spiegel"-Schülerzeitschrift "bento" schrieb sogar: "Liebe Generation Rollator, macht mir mein Europa nicht kaputt."
Die Debatte gipfelte in einem Kommentar der Parlamentskorrespondentin von "Le Monde", Hélène Bekmezian, die auf Twitter schrieb: "Mit dem Wahlrecht ist es wie mit dem Führerschein: Ehrlich gesagt, ab einem gewissen Alter sollte man es ihnen entziehen." Das zeigt, in welchen Bahnen die Diskussion mittlerweile verläuft.
Soll man Rentnern wie den Führerschein das Wahlrecht entziehen? Soll man alte Wähler analog zum Führerscheintest einem "Demokratietest" oder einer Gesinnungsprüfung unterziehen, ob sie noch sachgemäßen Gebrauch von ihrem Wahlrecht machen können? Was ist das nur für ein groteskes Demokratieverständnis! Das Wahlrecht, das einem ab 16 oder 18 Jahren verliehen wird, verwirkt grundsätzlich nicht, es sei denn, ein Betreuungsgericht ordnet eine Betreuung eines Demenzkranken an. Wer so argumentiert, erklärt eine ganze Wählergruppe für geistig unzurechnungsfähig und überhöht seine Position als moralisch und intellektuell höherwertig. Soll man Rentnern das Wahlrecht aberkennen, nur weil einem deren Entscheidung nicht passt? Das wäre genauso diskriminierend, wie wenn man Latinos von der US-Präsidentschaftswahl ausschließen würde, weil einem deren tendenziell pro-demokratische Gesinnung nicht gefällt.
In der Debatte zeigt sich viel Hochmut. Die "Zeit" titelte mit einem Anflug von Arroganz: "Was tun, wenn die Falschen gewinnen?"
Es gibt gute Gründe, den Austritt Großbritanniens aus der EU zu bedauern. Die Europäische Union verliert im Konzert der internationalen Mächte an Gewicht, der Brexit könnte von rechtspopulistischen Bewegungen instrumentalisiert werden und eine Kettenreaktion weiterer Referenden in Gang setzen, die den Zerfallsprozess der EU weiter beschleunigen würde.
Aber ist eine Entscheidung gleich falsch, nur weil sie nicht mit den eigenen Präferenzen korrespondiert? Auf welchem hohen Ross sitzen Teile der Medien, wenn sie Wahlen als richtig oder falsch moralisieren? Vielleicht war die Entscheidung der Briten gar nicht so töricht, wie sie immer abgestempelt wird. Der Vorwurf, die Regierung der EU lasse sich nicht abwählen, hat einen wahren Kern. Auch das Gerede von der "Uninformiertheit" der Wähler und einer tendenziösen Presse ignoriert, dass sich einige Brexiteers sehr wohl Gedanken über ihre Entscheidung beim Referendum gemacht haben.
Ganz abgesehen davon, dass die EU-Staaten nicht die Deutungshoheit über "Europa" besitzen - das wird in der Debatte gerne einmal gleichgesetzt -, implizieren die vielbeschworenen europäischen Ideale, dass man demokratische Abstimmungen akzeptiert.