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Exzessive Defizite der EU-Staaten

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Wirtschaft

EU-Verfahren jetzt auch gegen Österreich eröffnet. | Almunia: "Zu früh für Exit-Strategie." | Brüssel. Noch vor zwei Jahren waren fast alle EU-Länder auf dem Weg in Richtung eines ausgeglichenen Budgets bis 2010. Elf Staaten verzeichneten sogar satte Überschüsse. Doch die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Entwicklung auf dramatische Weise herumgerissen: Gegen nicht weniger als 20 der 27 Mitgliedsstaaten laufen inzwischen EU-Verfahren wegen übermäßigen Haushaltsdefiziten. Gestern, Mittwoch, eröffnete Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia jene gegen Österreich, Deutschland, Belgien, Italien, die Niederlande, Portugal, die Slowakei, Slowenien, und Tschechien.


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All diesen Ländern droht 2010 ein Minus von weit mehr als jenen drei Prozent, die der Euro-Stabilitätspakt erlaubt. Die Defizite hätten zwar Ausnahmecharakter und seien auf einen schweren Wirtschaftsabschwung oder eine Rezession nicht vorhersehbaren Ausmaßes zurückzuführen, befindet die EU-Kommission. Dennoch befänden sie sich weder in der Nähe des Referenzwertes noch handle es sich um vorübergehende Überschreitungen.

Budgetloch: 4,2 Prozent

Österreich blüht nach dem Bericht der Kommission für heuer ein Minus von 4,2 Prozent. Im April hatte Finanzminister Josef Pröll noch 3,5 Prozent nach Brüssel gemeldet - vor einer Woche wurde dieser Wert auf 3,9 Prozent korrigiert.

Für 2010 schätzen Almunias Beamte einen Abgang von 5,3 Prozent und eine Staatsverschuldung von mehr als 75 Prozent. Sinkende Steuereinnahmen, steigende Sozialausgaben und die Konjunkturpakete seien dafür verantwortlich.

Die Rezession abfangen können diese aber nicht: Um vier Prozent werde die österreichische Wirtschaft heuer schrumpfen, prophezeit Almunia. 2010 sei beinahe die Talsohle erreicht - nur mehr 0,1 Prozent werde der BIP-Rückgang betragen. Auch hier übertreffen die Kommissionszahlen die Wiener Befürchtungen weit.

Ähnlich wie Österreich gehe es jedoch der großen Mehrheit der Mitgliedsländer, erklärte Almunia - einige Länder wie Irland, Großbritannien und Lettland scheinen überhaupt Fässer ohne Boden zu sein. Ihnen drohen zweistellige Bugdetdefizite.

Ohne energische Exit-Strategien aus der Schuldenpolitik droht Dublin laut internen Unterlagen der EU-Kommission bis 2020 eine Staatsverschuldung von 200 Prozent des BIP, London und Riga weit mehr als 175 Prozent. Deutlich mehr als die üblichen 0,5 Prozent Konsolidierung pro Jahr, welche der Stabilitätspakt für gute Zeiten vorschreibt, werden nötig sein, um diese Szenarien abzufangen, schreiben die EU-Beamten. Selbst bei doppelt so großer Anstrengung würde Irland 2020 immer noch bei einem Schuldenstand von mehr als 150 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung landen, Großbritannien und Lettland bei rund 140 Prozent. Der Euro-Stabilitätspakt wünscht sich im Übrigen eine Staatsverschuldung von weniger als 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftleistung.

Bis Jahresende ein Plan

Dennoch sei es zu früh, die Konjunkturimpulse zurückzufahren, befindet Almunia mit Blick auf die gegenwärtige Rezession. "Allerdings müssen wir bereits jetzt koordinierte Ausstiegsstrategien erarbeiten, damit wir im richtigen Moment damit beginnen können, den ausufernden Schuldenstand wieder in geordnete Bahnen zu lenken", erklärte der spanische Kommissar.

Bis Jahresende sollen ein geeigneter Zeitraum und Richtlinien für den Ausstieg aus den Konjunkturprogrammen gefunden werden, hatten die Finanzminister letzte Woche in Göteborg vereinbart.