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EZB-Chef will, dass Politik vorlegt

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Draghi: Fiskalpakt ist Bedingung, um Investoren-Vertrauen zurückzugewinnen.


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Frankfurt/Brüssel. Für den EU-Gipfel am 8. und 9. Dezember in Brüssel kündigt sich ein großer Showdown an. Dann müssen solide Lösungen für die Schuldenkrise auf den Tisch - sonst steht die Währungsunion vor dem Zerfall. Das schlechte Krisenmanagement der letzten Monate hat die Investoren nämlich aus europäischen Staatsanleihen vertrieben: zu riskant, zu unsicherer Ausblick. Ohne Kurswechsel würden immer mehr Staaten Probleme bekommen, ihre Altschulden umzuwälzen und neue Kredite aufzunehmen. Nun zeichnet sich ab: Es wird eine delikate Gradwanderung, aber es gibt einen Pfad zur Rettung des Euro.

Der Masterplan: Die Euroländer erlegen sich strenge Regeln und eine enge Zusammenarbeit in Fiskal- und Wirtschaftsfragen auf. Damit soll den Anlegern demonstriert werden, dass alle Staaten gewillt sind, ihre Schulden auf Punkt und Beistrich zurückzuzahlen. Zugleich würde das Angela Merkel ein Argument liefern, ihre Blockadepolitik aufzugeben: Die Kanzlerin muss in Berlin plausibel machen, dass sie Deutschlands Vorstellungen von Budgetdisziplin für den ganzen Euroraum durchgesetzt hat. Nur so kann sie ihren Widerstand gegen ein engagierteres Einschreiten der Europäischen Zentralbank (EZB) oder die Vergemeinschaftung der Schuldenaufnahmen (Eurobonds) aufgeben, ohne unglaubwürdig zu werden.

Die Herausforderung besteht darin, alle Länder dahinter zu versammeln und die Vorgabe in Einklang mit den EU-Verträgen zu bringen. Denn Referenden wären ein Unsicherheitsfaktor, der die ganze Lösung aufs Spiel stellen würde. In Deutschland könnte sich einmal mehr der Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe als Spielverderber erweisen. Dieser hat in Grundsatzfragen bisher zwar strikt, aber salomonisch entschieden und den Fortbestand der europäischen Einigung nicht gefährdet.

Draghi: "Schnellere Prozesse" als EU-Vertragsänderung

EZB-Chef Mario Draghi wiederum sind vertraglich die Hände gebunden - er kann sich nicht, wie es Investoren am liebsten hätten, vor ein Mikrofon stellen und ankündigen, unbegrenzt die Staatsschulden von trudelnden Euroländern aufzukaufen. Um als Retterin in höchster Not zu gelten, müsste die EZB aber irgendeine Ankündigung machen, welche die Märkte davon überzeugt, dass sie letztlich doch dazu bereit wäre.

Ein kommunikativer Drahtseilakt. Mit einer Rede vor dem Europäischen Parlament am Donnerstag lieferte Draghi den Nachweis, dass er die Kunst der "konstruktiven Mehrdeutigkeit" beherrscht: Er verlangte von der Politik eine Vorleistung: "Die Wirtschafts- und Währungsunion braucht einen neuen Fiskalpakt - eine grundsätzliche Bestätigung der Fiskalregeln und der wechselseitigen Verpflichtungen, welche die Euroländer eingegangen sind." Das sei das Wichtigste, um die Glaubwürdigkeit gegenüber den Investoren zurückzugewinnen. "Andere Elemente könnten folgen, aber die Reihenfolge ist von Bedeutung", so Draghi vieldeutig. Die Formulierung könnte alles bedeuten - weitere politische Schritte, ein stärkeres Agieren der EZB oder Eurobonds.

Vorerst sind die Politiker in der Pflicht. Wenn sich ein langfristiger Anker - Richtung Fiskal- oder Stabilitätsunion - abzeichne, werde auch das kurzfristige Vertrauen zurückkehren. Zwar sollten weitreichende Änderungen der EU-Verträge nicht ausgeschlossen werden, es seien aber auch "schnellere Prozesse" vorstellbar.

Eine Woche vor der nächsten geldpolitischen Sitzung durfte Draghi keine Andeutung über den EZB-Kurs machen. Er betonte aber auffallend stark, wie wichtig ein funktionierender Staatsanleihenmarkt für die Kreditvergabe an Firmen und Haushalte ist. Das könnte der EZB Argumente liefern, um aus geldpolitischen Gründen die Anleihenkäufe auszuweiten. Das technische Problem: Bisher hat die EZB ihre Anleihenkäufe neutralisiert, indem sie das Geld dem Finanzkreislauf an anderer Stelle entzogen hat. Nur so konnte sie glaubhaft machen, dass die umstrittenen Käufe nicht zum Inflationstreiber werden. Damit wäre aber eine Ausweitung der Käufe gedeckelt. Draghi betonte erneut, die EZB könne nur beschränkt intervenieren. Unbegrenzten Käufen erteilte er eine Absage: "Lassen Sie es mich klar sagen: Es ist nicht für die Ewigkeit bestimmt, es ist nicht unendlich."

Bisher hat die EZB meist vor Auktionsterminen von Problemländern gekauft. Damit hat sie die Zinsen ein wenig, aber nicht nachhaltig gedämpft. Böse Zungen behaupten, die Zentralbank ermögliche dadurch verkaufswilligen Banken, sich von Euro-Investments zu verabschieden. Zum Vergleich: Die EZB-Käufe haben seit Mai 2010 rund 203 Milliarden Euro erreicht. Italien alleine muss aber bis September 2012 alte Kredite in Höhe von 250 Milliarden Euro zurückzahlen.

Ein dramatisches Bild zeichnete Draghi von der Lage der Banken. Die weltweit größten Zentralbanken lösen mit ihrer am Mittwoch angekündigten Geldspritze deren Probleme nicht. Solch kurzfristige Strategien sorgen zwar für heftige Marktausschläge. "Ich glaube aber nicht, dass seriöse Investoren sich stark davon beeindrucken lassen", sagt Wifo-Bankenexperte Franz Hahn.