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Beim Bekämpfen der Inflation will die Notenbank nun aber auf Sicht fahren. Gefahr droht von den Lohnabschlüssen.
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Siebenter Akt im Kampf gegen die hohe Inflation: Wie die US-Notenbank Fed am Tag davor hat am Donnerstag auch die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen weiter hinaufgesetzt – wie von den meisten Experten erwartet um 0,25 Prozentpunkte. Der Schlüsselsatz, zu dem sich Banken bei der EZB Geld leihen, liegt jetzt bei 3,75 Prozent.
Nach Jahren einer extrem lockeren Geldpolitik der Euro-Währungshüter dreht sich das Zinskarussell in Europa seit Juli 2022 wieder. Die EZB will damit erreichen, dass Kredite teurer werden, die Nachfrage nach Darlehen sinkt und damit insgesamt weniger konsumiert wird. In der Folge sollte sich dann der Anstieg der Verbraucherpreise abschwächen.
In den vergangenen Monaten ist das auch geschehen. Doch nach den Worten von EZB-Chefin Christine Lagarde ist der Preisdruck "nach wie vor hoch". Im April stieg die durchschnittliche Teuerung im Euroraum sogar wieder geringfügig an – auf 7,0 Prozent. Damit liegt die Rate dreieinhalb Mal höher als der EZB-Zielwert von 2,0 Prozent, der von den Frankfurter Notenbankern mit Preisstabilität gleichgesetzt wird.
Dennoch haben die Währungshüter bei ihrer jetzigen Zinsentscheidung den Fuß etwas vom Gaspedal genommen (noch im März hoben sie die Zinsen um 0,50 Prozentpunkte an). Offenbar will die EZB nach dem rasanten Erhöhungstempo der vergangenen Monate nun auf Sicht fahren – etwa auch, um die Konjunktur nicht abzuwürgen.
Lohnabschlüsse bergen Risiko
"Die EZB tritt auf die Bremse, sie zieht aber nicht die Handbremse an", sagt Thomas Gitzel, Chefökonom der liechtensteinischen VP Bank. Da der Inflationsdruck nur langsam nachlasse, werde die EZB weiter an der Zinsschraube drehen müssen. Fritz Mostböck, Chefanalyst der Erste Group, sieht das ähnlich. Er rechnet für die nächste Sitzung des EZB-Rats am 15. Juni erneut mit einer Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte (25 Basispunkte). Auch für die Zeit danach seien weitere Maßnahmen nicht auszuschließen, sagt Mostböck. "Bis dato ist es ja so, dass die Inflation hoch bleibt, weil viele Unternehmen ihre Preise erst jetzt erhöhen."
Laut EZB-Präsidentin Lagarde kam der jüngste Beschluss eines kleinen Zinsschritts "fast einstimmig" zustande. Außerdem seien sich alle Ratsmitglieder einig gewesen, dass eine weitere Anhebung notwendig sei und eine Pause nicht infrage komme.
"Wir haben noch mehr Boden gut zu machen", sagte Lagarde. Vor allem in den kräftigen Lohnabschlüssen im Euroraum sieht sie ein zunehmendes Risiko für eine hartnäckig hohe Inflation. Diese Abschlüsse dürften heuer stärker zum Preisauftrieb beitragen.
Konkrete Aussagen zum weiteren Zinserhöhungskurs der EZB machte Lagarde nicht. Sie kündigte aber an, dass die EZB bereit sei, alle Instrumente im Rahmen ihres Mandats anzupassen, um sicherzustellen, dass die Inflation mittelfristig zum Zielwert von 2 Prozent zurückkehre.
Fed hält sich alle Türen offen
In den USA liegt die neue Zinsspanne nach der jüngsten Anhebung um 25 Basispunkte nun bei 5,00 bis 5,25 Prozent. Dieses Niveau ist das höchste seit 2007, dem Jahr vor Beginn der Weltfinanzkrise. Unklar ist aber, ob mit dem zehnten Zinsschritt in Folge schon das Ende der Fahnenstange erreicht ist.
Zuletzt hat sich der kräftige Preisauftrieb zwar stärker als erwartet abgeschwächt: Im März stieg die Inflation nur noch um 5,0 Prozent. Diese Rate ist jedoch nach wie vor weit entfernt vom 2-Prozent-Ziel der US-Währungshüter.
Dennoch könnte es sein, dass das nächste Meeting der Fed am 14. Juni zur Nullnummer wird und dabei keine weitere Zinserhöhung erfolgt. "Unsere Geldpolitik hängt von den kommenden Entwicklungen ab", erklärte Notenbankchef Jerome Powell nach dem aktuellen Zinsbeschluss. Ausschlaggebend sei der Ausblick für Wirtschaft und Inflation. Die Fed entscheide von Zinssitzung zu Zinssitzung. Gleichzeitig stellte Powell klar, dass die Notenbank bereit sei, "noch mehr zu tun, falls eine geldpolitische Straffung geboten sein sollte".
Zur Frage, ob in absehbarer Zeit Zinssenkungen möglich sind, hielt der Fed-Chef fest, dass dies derzeit keine Option sei. "Jerome Powell hat zwar eine Pause in den Zinsentscheidungen signalisiert, die Hoffnungen der Märkte auf eine baldige Zinssenkung aber zunichtegemacht", kommentiert die Wiener Analystin Monika Rosen, Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft (ÖAG). Schon beim Zinsschritt im März hatte der oberste Notenbanker der USA unterstrichen, dass die Fed die Zinsen angesichts des Risikos einer anhaltend hohen Kerninflation länger hochhalten müsse.
Bankturbulenzen helfen Fed
Indes meinen Friedrich Heinemann, Ökonom des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), und Christian Scherrmann, US-Volkswirt des zur Deutschen Bank gehörenden Vermögensverwalters DWS, dass die jetzige Anhebung die "letzte Zinserhöhung im aktuellen Zyklus" gewesen sein könnte. Zwar sei die Fed so wie die EZB mit einer hartnäckig hohen Kerninflation konfrontiert, doch helfe ihr derzeit unter anderem die Bankenkrise. "Was in jedem Fall in die jüngste Entscheidung der Fed hineingespielt hat, ist der Stress in den amerikanischen Regionalbanken", betont auch Rosen.
Nach der Pleite zweier US-Geldinstitute im März ist erst kürzlich auch die First Republic Bank zusammengebrochen. Die Turbulenzen im Bankensektor könnten wegen einer zurückhaltenderen Kreditvergabe einen ähnlichen Effekt haben wie Zinserhöhungen und die Nachfrage dämpfen. Darauf setzt auch Powell. "Wenn die Banken ihre Kreditstandards anheben, kann dies in ähnlicher Weise zu einer Verknappung der Kredite führen", so der Fed-Chef. Es sei jedoch unmöglich, genau vorherzusagen, inwieweit sich das auf die Wirtschaft auswirke.
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