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F. Hitlers Tagebücher: Eine Groteske feiert 25. Geburtstag

Von Uwe Gepp

Europaarchiv

Trotz massiver Zweifel präsentierte der "Stern" 1983 plumpe Fälschungen. | Frankfurt/Main. (ap) "Die Geschichte des Dritten Reiches wird in großen Teilen neu geschrieben werden müssen." Mit diesem pompösen Satz präsentierte der "Stern" vor 25 Jahren der Weltöffentlichkeit die angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers. Zehn Tage und ein vernichtendes Gutachten später war der sensationelle Fund als plumpe Fälschung entlarvt und das angesehene Hamburger Magazin dem Spott preisgegeben.


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Hinter dem "größten anzunehmenden Unfall in der Zeitschriftengeschichte", wie der "Stern" den Skandal später selbst bezeichnete, steckten ein sächselnder Fälscher aus Stuttgart, Konrad Kujau, und ein tief im braunen Sumpf versunkener Reporter mit Geldsorgen, Gerd Heidemann. Möglich wurde die unglaubliche Pleite aber erst, weil bei Gruner und Jahr alle Kontrollmechanismen versagten.

Heidemann und sein Ressortleiter Thomas Walde umgingen die Chefredaktion - und damit die professionelle Nachrecherche - und wurden direkt beim Vorstand vorstellig. Dieser händigte dem Reporter insgesamt 9,34 Millionen Mark aus. Mit seiner Geschichte von einem gefährdeten Tagebuch-Beschaffer in der DDR, dessen Identität nicht preisgegeben werden dürfe, förderte er die "Bunkermentalität" (Henri Nannen) bei Gruner und Jahr.

Das Geheimprojekt "Grünes Gewölbe" gewann binnen zwei Jahren - das erste Heft schleppte Heidemann im Februar 1981 an - eine Eigendynamik, die die nach Ruhm und Reichtum gierenden Beteiligten systematisch alle warnenden Hinweise ausblenden ließ. Und die gab es reichlich: Die Initialen FH auf dem Einband (Kujau hatte in der Texturschrift A und F verwechselt), der belanglose Inhalt, sachliche Fehler oder die hanebüchene Geschichte Kujaus von seinem Bruder, der als General der DDR-Volksarmee die angeblich aus einem im April 1945 in Sachsen abgestürzten Flugzeug stammenden Tagebücher in den Westen geschmuggelt haben wollte. Auch hatte nie ein Zeitzeuge erwähnt, dass Hitler zeitaufwendig Tagebuch führte.

Die Jäger der großen Geschichte ließen sich von solchen Einwänden nicht aufhalten und kultivierten eine "selektive Wahrnehmung", wie der damalige "Stern"-Redakteur Michael Seufert bilanziert: "Gute Botschaften werden gern akzeptiert, schlechte beiseite geschoben." Von "Gruppenpsychose" sprach der damalige G+J-Vorstand Manfred Fischer später.

Noch kurz vor Veröffentlichung der vermeintlichen Tagebücher verdichteten sich die Zweifel an der Echtheit. Doch Chefredakteur Peter Koch bürstete in einer spektakulären Pressekonferenz am 25. April 1983 vor 27 Fernsehteams und hunderten Journalisten alle Zweifler ab, zu denen inzwischen auch der vom "Stern" als Kronzeuge aufgebotene britische Historiker Hugh Trevor-Roper gehörte. "Die Sache sieht eher wackelig aus", beschied dieser zur Bestürzung der "Stern"-Leute vom Podium aus.

Nach öffentlichem Druck übergab das Magazin einige Tagebücher dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Materialprüfung. Am 5. Mai fiel ihr vernichtendes Urteil: Papier und Tinte stammten aus der Nachkriegszeit - eine "simple Fälschung". Inhaltlich habe Kujau "lustlos" aus bekannten Chroniken abgeschrieben.

Kujau und Heidemann wurden 1985 wegen Betrugs zu Haftstrafen verurteilt. Der Fälscher sonnte sich später in seinem Ruhm und vermarktete ihn, er starb im Jahr 2000 an Krebs. Heidemann beharrt bis heute darauf, dass er die Gruner-und-Jahr-Millionen bis auf die letzte Mark an Kujau ausgehändigt habe. Laut Gericht zweigte er aber mehr als vier Millionen Mark für sich selbst ab. Heute lebt der 76-Jährige "in bescheidensten Verhältnissen" als Rentner in Hamburg.

Für den "Stern" ist der Skandal dagegen längst "ein Stück Pressegeschichte". Man habe sich von dem Image-Schaden einigermaßen erholt und "an seine große Tradition eines qualitätsorientierten Magazins angeknüpft", heißt es in einer Stellungnahme.