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Ist Israel von allen guten Geistern verlassen? Ausgerechnet die einzige Demokratie im ganzen Nahen Osten fand bis zum Sturz Hosni Mubaraks die Demokratiebewegung im wichtigsten Nachbarland Ägypten nicht der Unterstützung wert.
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Arm in Arm mit den reaktionären Despoten Saudi-Arabiens stellte sich der Judenstaat bis zuletzt hinter den ägyptischen Alleinherrscher. So sagte Amos Gilead, Direktor im Jerusalemer Verteidigungsministerium: "Ein demokratischer Prozess in Nahost wird Diktaturen schaffen und aus der Region eine Hölle machen. Um zu überleben, bevorzuge ich Stabilität." Damit meinte er eindeutig das System Mubarak.
Israel erweckt den fatalen Eindruck, seine Freiheit und Sicherheit sei nur durch Unfreiheit und Unsicherheit der Bevölkerung in den umliegenden Diktaturen zu gewährleisten.
Leider ist diese Haltung des offiziellen Israel nicht Ergebnis geistiger Verwirrtheit, sondern einer nüchternen - wenn auch vielleicht pessimistischen - Analyse der Realität. Gewiss erweckt die legendäre "Generation Facebook" auf dem Tahrir-Platz nicht gerade den Eindruck, intensiv an der Installierung einer islamistischen Theokratie interessiert zu sein. Hier demonstrierte das moderne, weltoffene, sympathische Ägypten. Und dessen Islam erscheint durch und durch demokratiekompatibel.
Dem steht aber gegenüber, dass rund 80 Prozent der muslimischen Ägypter Steinigung bei Ehebruch, Handabschlagen für Diebe und Todesstrafe für Konvertiten befürworten (laut einer Umfrage des Pew-Instituts 2010). Vor allem aber halten 95 Prozent "einen starken Einfluss des Islam auf die Politik" für richtig. Das legt den Verdacht nahe: Jene sympathischen jungen Leute, die das Gesicht der demokratischen Revolte auf den TV-Schirmen des Westens bilden, spiegeln Ägyptens gesellschaftliche Wirklichkeit nicht einmal annähernd wider. Ob sich in einer derart verfassten Gesellschaft eine säkulare, liberale Demokratie bilden kann, fragt sich nicht nur Israel angesichts derartiger Befunde mit einer gewissen Berechtigung.
Diese Skepsis ist auch gegenüber den Muslimbrüdern angebracht, die sich viele westliche Staatskanzleien und Medien gerade schönreden, als handelte es sich bei Ägyptens wichtigster politisch-religiös-ideologischen Formation um eine Mischung aus ÖGB, Greenpeace und Clowndoctors. Dagegen schreibt der israelische Publizist Shlomo Avineri: "Sie haben nie aufgehört, Israel das Existenzrecht abzusprechen, und ohne Unterlass gegen den Friedensvertrag mit Israel gehetzt, Selbstmordattentäter unterstützt und den ideologischen Rückhalt der Hamas-Fundamentalisten in Gaza gebildet. Während der jüngsten Demonstrationen zogen es die Muslimbrüder vor, sich bedeckt zu halten . . . Was nichts daran ändert, dass sie ihr Ziel in der Errichtung eines muslimischen Gottesstaates sehen und sich als militant anti-westlich definieren."
Man kann es natürlich paranoid finden, daraus eine Skepsis gegenüber der ägyptischen Revolution abzuleiten. Aber Paranoia zu haben bedeutet ja bekanntlich nicht zwingend, nicht verfolgt zu werden.