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Fackellauf hinter Barrikaden

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Stacheldraht sicherte die Strecke. | Alternativer Lauf als Protestsignal. | Neu Delhi. Wenigstens 15.000 Sicherheitskräfte schützten den stark verkürzten olympischen Fackellauf in der indischen Hauptstadt Neu Delhi. Weil kaum einer einen Blick auf die Flamme werfen konnte, zogen die Tibet-Demonstranten mit ihrem alternativen Protestlauf die Aufmerksamkeit auf sich.


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"Ich habe mir die olympische Fackel nur anschauen wollen", erklärte ein tibetischer Mann entschuldigend, nachdem ihn unweit des India Gate gleich ein gutes Dutzend Polizisten mit Schlagstöcken gejagt und festgenommen hatten. Tausende Sicherheitskräfte hatten die Innenstadt von Neu Delhi bereits Stunden vor dem Lauf hermetisch mit Barrikaden und Stacheldraht abgeriegelt. Zu Gesicht bekam das olympische Feuer kaum einer.

Selbst die paar ausgewählten Schulkinder, die eigentlich am Streckenrand jubeln sollten, wurden sicherheitshalber hinter den Uniformierten in Khaki versteckt. Nicht eine Minute länger als unbedingt nötig, wollten die indischen Behörden die Olympia-Fackel im Lande haben. Indien bemüht sich zwar um gute Beziehungen zum Nachbar China, doch seine demokratische Tradition macht es schwer, friedliche Proteste gegen die Spiele in Peking zu unterbinden.

Der Fackellauf, der vor vier Jahren noch 32 Kilometer durch die 14-Millionen-Metropole führte, war auf 2,3 Kilometer verkürzt worden. Manche hielten selbst das für zu hoch gegriffen, denn die Route zwischen dem Rashtrapati Bawan, dem Amtssitz des Präsidenten, und dem India Gate ist leicht zu überblicken. Auf der schnurgerade Prachtallee, die noch von den britischen Kolonialherren angelegt wurde, tummelt sich sonst eine bunte Mischung aus Schaulustigen, Großfamilien, fliegenden Händler und Delhi-Besuchern. Am Donnerstag war nur noch ein Meer von Polizisten zu sehen, die das Feuer vor den Pro-Tibet-Demonstranten schützen sollten.

Dass Delhi ein neuralgischer Punkt der Reise um die Erde werden würde, war von Anfang an klar gewesen. In Indien leben rund 100.000 Exil-Tibeter, mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Schon seit Wochen hatten Hunderte Menschen in der Innenstadt Delhis für die Unabhängigkeit Tibets demonstriert. Entsprechend hoch waren die Sicherheitsvorkehrungen: Gegen ein Uhr nachts war die Fackel in der Hauptstadt angekommen und umgehend in ein streng bewachtes Luxushotel gebracht worden.

Kürzer als eine Stunde

Ort und Zeit der Ankunft waren geheimgehalten worden, auch über den Start des Fackellaufes herrschte Stillschweigen. Das Ganze dauerte dann kürzer als eine Stunde. Die Polizei nahm zwar einigen Tibet-Aktivisten fest. Doch dank des großen Sicherheitsaufgebotes gab es - anders als etwa in Paris oder London - kaum nennenswerte Zwischenfälle. Einige prominente Sportler hatte ihre Teilnahme abgesagt. Sportminister M. S. Gill hatte sogar Politikern und Filmstars empfohlen, sich nicht am Lauf zu beteiligen.

So blieben Polizei, Läufer und Olympia-Funktionäre bei der kurzen Abschlusszeremonie am India Gate, dem 42 Meter hohem Denkmal aus rotem Sandstein, praktisch unter sich. Die Fackel der tibetischen Demonstranten hingegen wurde am Jantar Mantar-Park mit Jubel, Ballons und Free-Tibet-Fahnen empfangen. Der alternative Lauf hatte am Morgen am Rajpath, dem Denkmal für den Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhis begonnen, der wie kaum einer den friedlichen Widerstand symbolisiert. Vielen sahen hier den wahren Geist der olympischen Spiele verkörpert, abseits von Sperrgebieten und Hochsicherheitszonen.