Gesundheitsinitiative Praevenire schickte Alarmrufe und umfassende Reformvorschläge an die Politik.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Hans Jörg Schelling ist als ehemaliger Finanzminister und Vorsitzender des einstigen Hauptverbandes der Sozialversicherungen zweifellos ein Kenner der Republik und ihrer Institutionen. In seiner Funktion als Vorstand der Gesundheitsinitiative "Praevenire" stellte Schelling am Mittwoch eine umfassende Sammlung von Handlungsempfehlungen für die Politik vor. Dazu sagte er: "Österreich ist ein Land der Evolution, nicht der Revolution." Anders formuliert: Man kann nur sehr kleine Veränderungen machen, echte Reformen sind hierzulande schwierig.
Ein Beispiel dafür ist das Ausrollen der Primärversorgungseinheiten, also Gesundheitszentren, in denen Ärzte und andere Gesundheitsberufe zusammenarbeiten als Ergänzung (oder Ersatz?) zu Hausarzt und Hausärztin. Der Ausbau hinkt den Zielen hinterher, wobei Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grünen) sich nun erneut wieder recht ambitionierte Ziele setzte und Zahl der Gesundheitszentren bis 2025 verdreifachen will. Schelling dazu: "Wir sind Ankündigungsriesen und Umsetzungszwerge."
Ex-Spitäler-Chef Marhold will "Ambulantisierung"
Auch Erwin Rebhandl, langjähriger Hausarzt in Oberösterreich und Gründer eines Primärversorgungszentrums, zeigte sich skeptisch. Er sprach von "unendlichen Schwierigkeiten". Allerdings verteilt sich die Verantwortung auf sehr viele Schultern, doch das zieht sich durch alle Bereiche im Gesundheitswesen. Gleichzeitig macht das jede Reform sehr schwierig.
Die Experten und Expertinnen zeichneten bei der Präsentation des Berichts vor allem für das heimische Spitalswesen eine wenig optimistische Zukunft. Wilhelm Marhold, ehemals Chef der städtischen Wiener Spitäler, sagte: "Wenn wir so weitermachen, fahren wir das System an der Wand." Er erinnerte an Meldungen, wonach allein in der Steiermark wegen Personalmangels bereits 600 Betten gesperrt seien. "Das ist eine Kapitulation."
Der medizinisch-technische Fortschritt führe dazu, dass heute rascher und treffsicherer behandelt werden könne. "Wir können aber die moderne Medizin und Pflege nicht mit Strukturen des 20. Jahrhunderts betreiben." Marhold spricht sich für eine "Ambulantisierung" aus, wie er sagt. In Österreich könnten jedes Jahr 800.000 Leistungen tagesklinisch erbracht werden, tatsächlich werden aber nur 200.000 durchgeführt. Gelänge es, deutlich mehr Leistungen vom stationären Bereich in den ambulanten zu verschieben, könnte man auch ein zweites Problem damit zumindest lindern: den Arbeitskräftemangel im Gesundheitsbereich. "Das ist eine Chance auf bessere Arbeitsverhältnisse."
Verhandlungen um neuen Finanzausgleich
Eine wichtige Rolle für die Patientensteuerung spielen die Finanzen im Gesundheitswesen. Österreich hat als eines von nur wenigen Ländern ein System, das krankenkassen- und steuerfinanziert ist, da die Spitäler Ländersache sind. Allerdings zahlt in den Landesspitalsfonds die Sozialversicherung einen relevanten Pauschalbetrag. Um diesen wird in den aktuellen Verhandlungen zum Finanzausgleich gestritten.
Die Länder fordern, vereinfacht gesagt, einen zusätzlichen Topf für die Spitalsambulanzen. Die Sozialversicherung will dagegen künftig nicht nur Geld überweisen, sondern mehr Mitsprache. Bis zum Sommer muss eine Einigung bei strukturellen Änderungen stehen.
Alexander Biach, Direktor-Stellvertreter der Wirtschaftskammer Wien, erklärte, dass in einigen Bereichen wie bei Digitalisierung-Agenden und der Finanzierung von teuren Medikamenten eine Einigung nahe sei. Große Reformen erwartet jedoch auch Biach nicht wirklich. Oder, wie Schelling eben sagte, Evolution statt Revolution.(sir)