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Fahrlässig oder genial

Von Judith Belfkih

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Bogdan Roščić als Staatsoperndirektor ist unerwartet. Ob er den Ausverkauf oder die Neupositionierung des Hauses bringt, bleibt abzuwarten.


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Handelt es sich um einen Aprilscherz? Hat die Satire-Plattform der "Tagespresse" sich der Hochkultur gewidmet? Als sich Anfang der Woche die Gerüchte verdichteten, Bogdan Roščić solle neuer Direktor der Staatsoper werden, dominierte in der Opernwelt Verwunderung. Da und dort mit Entsetzen durchzogen.

Ein Klassik-Label-Chef, der Popkritiker war und dessen Name auch in Zusammenhang mit "Starmania" und Ö3 steht? Ein zwar versierter Medien-Manager, der jedoch über keinerlei Theater-Erfahrung verfügt, soll das - hoffentlich bald wieder - wichtigste Opernhaus der Welt leiten? War er nicht gerade erst als ORF-General im Gespräch? Der Gedanke der Beliebigkeit und Austauschbarkeit drängte sich vielen auf. Und die Frage, ob Staatsoperndirektor nicht auch einmal ein Beruf war, den es zu erlernen galt.

Roščićs Bestellung ist sicher ein Signal für die Öffnung des Hauses, auch eines für eine Kommerzialisierung, die vor digitalen Formaten nicht zurückscheut. Dass es wieder mehr vokale und dirigierende Stars am Ring zu hören geben wird, ist gesichert - sie bilden das Netzwerk, das der neue Chef mit im Gepäck hat. Ob sie nur hübscher PR-Aufputz sein werden, bleibt abzuwarten.

Die Aufgabe, vor der Roščić steht, ist an sich schon ein Spagat: ein behäbiges Klassik-Schlachtschiff zu modernisieren, zu entschlacken und neu auf Kurs zu bringen, ohne die mitfahrenden Reisenden bei einem abrupten Manöver über Bord zu spülen.

Doch wird der profilierte Manager Roščić auch wieder eine - aktuell bitter nötige - künstlerische Vision ans Haus bringen? Wird er Oper jenseits des breitentauglichen Show- und Glamour-Faktors als heutige, auch kontroverse Kunstform positionieren? Diese Frage wird sich frühestens mit der Wahl seines Generalmusikdirektors beantworten lassen. Hat der designierte Chef den Mut, sich einen provokanten Tiefschürfer wie Teodor Currentzis zu verpflichten oder auch einen gestaltungsfreudigen Musiker wie Franz Welser-Möst zurück ans Haus zu binden, könnte eine grundlegende Neuaufstellung spannend werden. Setzt er auf einen großen Namen, bleibt die Gefahr, dass der derzeitige Opernmuseumsbetrieb durch ein paar Stars aufgehübscht, aber keine grundlegende Neuausrichtung passieren wird.

Roščić hat absoluten Gestaltungswillen signalisiert. Das ist zumindest ein positives Signal. Denn dass die Staatsoper in ihrer derzeitigen Form - außer als Touristenmagnet - langfristig wegen schwindender Relevanz nicht überlebensfähig ist, steht außer Frage. Roščićs Kür ist zweifelsohne mutig. Und sie hat Potenzial. Sie hat aus heutiger Perspektive nur zwei Möglichkeiten. Sie kann sich als fahrlässig herausstellen. Oder als genial.